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Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Titel: Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
Autoren: Sabine Ludwig
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besten!»
    Martha ist so wütend, dass sie die Kleine am liebsten schlagen würde. Dabei weiß sie gar nicht, was sie eigentlich so wütend macht. Hat sie etwa Angst gehabt? Angst um die Nervensäge? Ach was, von ihr aus kann die mit hundert fremden Männern mitgehen. Hauptsache, niemand macht Martha dafür verantwortlich.
    Der Regen wird stärker. Unsanft stülpt sie Poppy die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf, sodass die nichts mehr sieht.
    Martha hat keine Kapuze, keinen Schirm. Morgen werden ihre Haare wieder aussehen wie explodiert. Und an allem ist nur dieses Monster schuld!

2.
    D as Haus, in dem Martha seit vier Wochen wohnt, ist hässlich. Von außen jedenfalls. Es sieht aus wie in der Mitte durchgeschnitten. Die fehlende Hälfte ist durch einen sechsstöckigen Neubau ersetzt. Die Glatze hat erzählt, dass in den letzten Kriegstagen eine Bombe das Haus zerstört hat. Das Treppenhaus im Innern zeugt noch von der hochherrschaftlichen Vergangenheit, aber es gibt auf jeder Etage nur eine Wohnung.
    Als Martha die Eingangstür aufschließen will, wird die im gleichen Moment von innen geöffnet, und vor ihnen steht eine untersetzte ältere Frau mit kurzen orangeroten Haaren in einem lilafarbenen sackartigen Gewand, die umständlich mit einem Regenschirm hantiert. Martha hält ihr die Tür auf.
    «Hallo, Frau Dernburg!», ruft Poppy begeistert, aber die Frau nickt nur geistesabwesend und eilt die Straße entlang. Wenigstens
Danke
hätte sie ja sagen können.
    Frau Dernburg wohnt im vierten Stock, direkt über ihnen. Martha weiß nur, dass sie Psychologin ist und früher in ihrer Wohnung irgendwelche Urschrei-Therapien durchgeführt hatte. Das hat die Glatze mal erzählt. Nachdem die Nachbarn mehrmals die Polizei alarmiert hatten, weil sie dachten, es würde gerade jemand ermordet, hatte sie sich Praxisräume angemietet und lässt die Leute dort herumbrüllen.
    «Wahrscheinlich in irgendeinem schalldichten Keller», hatte Johannes gesagt und auch sonst deutlich gezeigt, was er von der Dame hielt. «Psychologie ist keine Wissenschaft», sagt er immer.
    Seit sie bei ihm leben, sind auch sämtliche homöopathischen Arzneimittelchen und Bachblütentropfen aus dem Badezimmer verschwunden, auf die Constanze, Marthas Mutter, bisher so geschworen hat.
    Endlich lässt Poppy Marthas Hand los und stürmt die Treppe hoch. Martha geht langsam, sehr langsam, hinterher. Durch den Flur wabert noch das Parfüm von Frau Dernburg, eine widerliche Mischung zwischen Weihrauch und Kloreiniger. Im dritten Stock sitzt Poppy vor der Wohnungstür und zieht sich die Schuhe aus.
    Wiebrecht
steht in großen blauen Buchstaben auf einem roten Schild, darunter klebt ein Zettel, auf dem mit Kuli gekritzelt
Altenbourg
steht.
    Martha würde den Zettel am liebsten abreißen.
    «Was spielen wir?», fragt Poppy und drückt Martha ihre Schuhe in die Hand. «Memory oder Mensch-ärgere-dich-nicht oder –»
    «Wir spielen gar nichts», sagt Martha und schließt die Tür auf.
    Als die Möbelpacker die paar Sachen von Martha und ihrer Mutter in die Wohnung schleppten, hatte einer beim Anblick des Flurs gesagt: «Janz schön bunt hier.»
    Die Wände sind in einem leuchtenden Türkis gestrichen, die sich anschließende offene Küche in Orange. Poppys Zimmer ist natürlich ganz in Pink, und im Schlafzimmer, das ihre Mutter mit der Glatze teilt, fühlt man sich durch das dunkle Flaschengrün wie unter Wasser. Nur das Wohnzimmer ist in einem hellen Grau gehalten. Die ungewöhnliche Farbgestaltung ist das Werk von Johannes’ verstorbener Frau. Auch das riesige Aquarium, das zwischen den Türen von Bad und Gästetoilette steht, gehörte ihr. Außer ein paar Wasserpflanzen bewegt sich allerdings nichts darin.
    «Die sind alle auf einen Schlag gestorben, nachdem es passiert ist», hat Johannes erzählt, als Martha nach den Fischen gefragt hatte. «Und Poppy will keine neuen.»
    Mit «es» meint Johannes den Unfalltod seiner Frau. Sie war beim Radfahren von einem rechts abbiegenden Lkw übersehen und überrollt worden. Poppy hatte angeschnallt hinter ihr auf dem Fahrradsitz gesessen. Wie durch ein Wunder war sie unverletzt geblieben.
    Poppy zieht die Schachtel mit dem Memory aus dem Regal und schleppt sie ins Wohnzimmer.
    Martha folgt ihr. «Ich kann nicht mit dir spielen, ich muss ganz viel für die Schule machen.» Das ist noch nicht mal gelogen. «Du darfst fernsehen.»
    «Du musst aber mitgucken.»
    «Sag mal, kapierst du’s nicht?» Martha reißt Poppy die
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