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Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Titel: Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
Autoren: Sabine Ludwig
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dazugemalt. Sehr witzig. Martha fährt sich unwillkürlich an den Kopf und kratzt sich. Immerhin hat sie jetzt eine prima Ausrede, um sich die Kleine vom Leib zu halten.
    Sie hat kaum zwei Schritte in den Flur gemacht, da saust Poppy auch schon auf sie zu. «Maahta! Maahta!», ruft sie begeistert. «Holst du mich ab?»
    «Sieht so aus», brummt Martha und hält Poppy an den Handgelenken fest. «Komm mir nicht zu nahe, ich will deine Läuse nicht.»
    Poppy schüttelt den Kopf, dass ihre dünnen Zöpfchen fliegen. «Hab keine. Laura hat welche und Adrian und –»
    «Wer sind denn Sie?», fragt eine ältere Frau mit weißer Schürze und grauer Ponyfrisur und sieht Martha nicht sehr freundlich an.
    «Das ist Maahta, meine neue Schwester», sagt Poppy stolz, dann steckt sie den Daumen in den Mund und sieht sehr zufrieden aus. Die Frau mit der Schürze hebt den Finger. «Aber, aber, so ein großes Mädchen nuckelt nicht am Daumen.»
    Poppy zieht den Daumen aus dem Mund, betrachtet ihn nachdenklich, sagt «Doch» und steckt ihn wieder rein.
    Jetzt eilt eine dicke Frau auf sie zu und schwenkt ein Stofftier in der Hand. Martha starrt sie an. Wie kann man nur so fett sein? Dabei ist die bestimmt erst Mitte zwanzig. Beim Laufen reiben ihre Oberschenkel aneinander. Aber sie strahlt Martha an, als ob sie die besten Freundinnen wären.
    «Du bist Martha, stimmt’s? Deine Mutter hat angerufen und gesagt, dass du Penelope heute abholst. Die freut sich schon den ganzen Tag darauf.»
    Ich nicht!
, hätte Martha am liebsten gesagt.
    Dann drückt sie Poppy einen Fisch aus abgewetztem Plüsch in den Arm, der irgendwann einmal grün gewesen sein muss. «Guck mal, du hättest beinah Flossy vergessen, der wär bestimmt ganz traurig gewesen, wenn er heute Nacht nicht bei dir hätte schlafen können.»
    «Ich auch», sagt Poppy und presst das räudige Teil mit verzückter Miene an sich. «Aber dann wär ich zu Maahta ins Bett gegangen.»
    «Bloß nicht!», ruft Martha, und als sie die entsetzte Miene der Dicken sieht, fügt sie schnell hinzu: «Ich meine, wo hier doch alle Läuse haben.»
    «Nicht alle. Läuse haben nur die Kinder aus der Marienkäfergruppe.»
    «Und ich bin bei den Fliegenpilzen!», sagt Poppy stolz. «Die haben auch Pünktchen, aber die sind giftig.»
    Passt ja
, denkt Martha, aber sie sagt es nicht, sondern nimmt Poppys Jacke vom Haken und sucht unter der Bank nach ihren Schuhen.
     
    Auf der Straße greift Poppy sofort nach Marthas Hand. Ihr erster Impuls ist, die klebrige Pfote abzuschütteln. Aber nachher kommt das Biest noch auf die Idee, auf die Straße und vor ein Auto zu laufen. Dieses Kind ist unberechenbar. Die Glatze erzählt immer, wie Penelope im Winter das erste Mal an der Ostsee gewesen war und sich, kaum angekommen, voll Begeisterung ins Meer gestürzt hat. Im Mantel mit Pudelmütze auf dem Kopf. Damals war sie drei. Aber jetzt mit fast fünf ist sie nicht viel besser.
    «Du bist doch meine Schwester?», fragt Poppy und blickt erwartungsvoll zu Martha hoch. Aus ihrer Nase läuft Rotz, an ihrer Backe kleben Reste von irgendeinem Brei. Martha schaut schnell weg.
    «Nein, bin ich nicht. Meine Mutter ist nicht deine Mutter.»
    «Meine Mama ist tot.» Poppy sagt das ohne jede Spur von Bedauern. Dann scheint sie zu überlegen. «Und dein Papa ist auch tot.»
    Martha spürt, wie ihr sofort die Tränen in die Augen stiegen. Das ist wie ein Reflex, selbst nach zwei Jahren. Sie muss nur hören, wie irgendjemand
Papa
sagt, und schon bekommt sie einen Kloß im Hals. Warum kann dieses Kind nicht einfach mal die Klappe halten?
    Aber Penelope plappert fröhlich weiter. «Und jetzt ist deine Mama meine Mama und mein Papa dein Papa und du –» sie stößt einen triumphierenden Juchzer aus, «– du bist meine Schwester!»
    Martha bleibt abrupt stehen und quetscht Poppys Finger, sodass es ihr selbst weh tut.
    «Meine Mutter wird niemals deine Mama sein und dein Vater niemals mein Papa, kapiert?» Jetzt schüttelt sie Poppys Hand, als wolle sie ein ekliges Insekt loswerden. «Du-bist-nicht-meine-Schwester!» Sie legt die Betonung auf jedes einzelne Wort.
    Penelope schaut Martha mit großen Augen an. Jetzt fängt sie bestimmt gleich an zu heulen. Doch es kullern keine Tränen. Statt zu weinen, lacht dieses Scheusal, es lacht sie einfach aus.
    «Ich weiß es aber!»
    Martha geht schneller. Penelope muss immer zwei Schritte auf einmal machen, aber das scheint sie nicht zu stören, wie ein Gummiball hüpft sie neben Martha her
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