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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik
Autoren: Alissa Walser
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Albtraums von Haus.
    Auch das Kind, noch kaum drei Jahre alt. Sie sei aus ihrem Bettchen gestiegen. Und unbemerkt ins nächst untere, stockdunkle Stockwerk geraten.
    Erst Stunden später von der Haushälterin entdeckt, leise weinend, in der stockdunkelsten Ecke.
    Sie sei wieder hinaufgebracht worden. In ihr Bett. Sie habe sich bei diesem Vorfall den Kopf erkältet. Sie wissen schon, sagt er, die Zugluft. Übrigens
     nicht dieses Haus, sie seien umgezogen vor Jahren. Als man ihn zum Hofsekretär ernannt habe, habe er dieses freie Hof-Quartier bekommen. Hier lebe er
     gratis, gern und gut. Lieber billiger und besser.
    Zwar gingen auch hier, im Haus Zum Schab den Rüssel die Kerzen von der Zugluft aus, woran selbst der Filz vor den Türen kaum etwas ändere, aber verglichen mit dem alten, sagt er, herrscht hier Flaute.
    Das Kind habe sich also in der Zugluft den Kopf erkältet?
    Die Angst …, sagt die Mutter.
    Die Angst, übertönt sie der Vater, gab ihr den Rest. Am nächsten Morgen war sie blind.
    Ob er sich dieses Unglück vorstellen könne, bricht es aus der Mutter heraus. Das eigene Kind. Das süßeste Leben. Die allernächste Hoffnung. Am Abend
     zwinkert es mich mit diesen schönen klaren Augen an. Ich küsse sie, wie jeden Abend. Und am nächsten Morgen rennt sie gegen Wände. Stockblind wie ein
     Maulwurf oder eine Mauer, wie … Und sie habe danebengestanden, hilflos. Ob er sich das vorstellen könne, bricht es schluchzend aus der Mutter heraus. Er
     habe bestimmt selber Kinder, und …
    Nein, sagt Mesmer leise, meine Frau …
    Seine Frau, fährt der Vater fort, habe ihm leider auch keinen Sohn geschenkt. Wofür sie natürlich nichts könne. Nur eine Tochter. Zwar eine mit Talent,
     aber was helfe das schon. Es bleibe ohne jede Wirkung auf den Fortbestand der Linie, da bei der Fortpflanzung es doch so sei, dass der männliche Same
     alles, was man Talent nennen dürfe, mitbringe, damit es im weiblichen Mutterboden Wurzeln schlage. Womit sein Talent zwar in seiner Tochter gedeihe, aber
     eben leider auch mit ihr enden werde.
    Er gehöre ganz offensichtlich der Fraktion der Spermisten an, sagt Mesmer. Er wolle aber doch erwähnen, dass die Fraktion der Ovulisten, also die, die
     glauben, in der weiblichen Zelle sei alles, was er Talent nenne, vorhanden, keineswegs nur aus Frauen bestehe. Nein, das seien Männer. Männer und weiß
     Gott nicht nur Muttersöhne.
    Und wie ist es wirklich wahr? Der Hofsekretär wird ungeduldig.
    Darüber wird noch gestritten.
    So so, sagt der Hofsekretär und meidet den Blick seiner irritierten Frau. Jedenfalls versuche er, das Beste draus zu machen. Es sei für alle ein großer
     Schock gewesen, nicht nur für sie, für alle, für jeden, der sie kenne.
    Seine Frau bemühe sich seitdem, der Tochter ein Auge zu sein. Das sei doch das Mindeste, was sie tun könne.
    Madames Weinen wird er sich merken. Diese leise Mischung aus Stöhnen und Schluchzen. Wie etwas, das gleichermaßen gut und weh tut. Wie eine nie ganz
     ans Ziel gelangende Erlösung.
    Er habe versucht, besinnt sich der Hofsekretär, aus der Situation das Beste zu machen. Es sei das Einzige, was er habe tun können. Das Beste draus
     machen, sei schon immer seine Devise. Schon damals, als man ihn ins Banat versetzt habe, in die Sümpfe. Wo das Klima unerträglich sei. Wo er fast
     gestorben wäre. Wo er, um zu überleben, all seine Beziehungen habe spielen lassen müssen. Er habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um von dort
     wegzukommen. Und nach Lehrern für sie gesucht, natürlich den besten. Die besten Lehrer seien die von den Besten genannten. Ob Mesmer wisse, wie schwierig
     es sei, einen Lehrer zu finden für eine Blinde.
    Selbst gelehrte Personen glaubten, dass einer, der nichts sieht, auch nichts versteht.
    Das könne er sich vorstellen, ja, sagt Mesmer. Das liege daran, dass die Menschen sich weigerten, etwas zu verstehen, das sie nicht sähen … Das mache
     sie blinder als blind …
    Er, sagt der Vater, habe herausgefunden, dass das alles Unsinn sei. Er habe seiner Tochter vorgelesen, so oft als möglich, stimmt’s,
     Resi?
    Das Mädchen nickt.
    Immer wieder vorgelesen. Nichts, was ihr das Herz hätte verderben können, natürlich nichts, was ihre durch die Krankheit ohnehin begrenzte
     Brauchbarkeit als Frau noch weiter eingeschränkt hätte. Nur Nützliches haben wir gelesen. Gott und Gellert am liebsten, nicht wahr, Resi.
    Komm, sagt er, sag uns ein Sprüchlein, Resi.
    Und Resi, mit leise schwankendem
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