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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik
Autoren: Alissa Walser
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störe. Während sie in der abwesenden Welt ungehemmt losstürme.
    Aber lesen könne sie nicht, sagte er. Es klang verächtlich, wie er manchmal mit Kaline gesprochen hatte. Und dann las er vor. So ist er.
    Er gratuliere ihr an diesem Abend von Herzen zu ihrem großen musikalischen Sieg .
    Und da war sie dann doch überrascht. Weniger über den Satz, als über den Klang seiner Stimme. So kannte sie ihn nicht.
    Er freue sich!, sagte er leise, fast heiser, und seine Stimme widersprach ihm selbst. Klang freudlos.
    Wie es ihm ergangen sei, sagte sie und bereute die Frage sofort. Denn ihre Eltern hatten ihr regelmäßig von den öffentlichen Schmähungen berichtet. Sie hörte ihn auf sich zukommen und wich ihm aus. Nicht, dass er plötzlich mit seinemHokuspokus anfing. Womöglich ein spanisches Rohr aus der Tasche zog oder einen Magnet. Bloß jetzt keine Experimente mit ihrem Nervenkostüm.
    Sie müsse nun gleich noch mal raus, vor die Leute, sagte sie. Lief um den Tisch herum. Riedinger werde sie rufen.
    Riedinger?, hatte er aufgestöhnt.
    Er begleite ihre Tournee und sie auf der Geige und überhaupt …
    Sie war hinter den Paravent getreten. Sie hörte, wie er davor stehen blieb.
    Ob Riedinger auch die Musik für ihre Konzerte auswähle?
    Nein, das tue sie ohne jede Hilfe.
    Ihren Haydn (Klavierkonzert in G-Dur) hatte er bewundert, dieses bezaubernd Sanfte und Zärtliche in ihrem Ausdruck. Und ihr Lied ( Ich war ein armes Würmchen ) habe sie gut gesungen.
    Und auch in der französischen Übersetzung habe sie den ganzen Saal in ein Schluchzen verwandelt.
    Davon habe sie nichts bemerkt, sagte sie. Was im Saal vor sich gehe, fließe direkt in ihr Spiel zurück.
    Aber eines verstehe er nicht, sagte er. Da gebe es Mozart, und sie spiele Koz̧eluch.
    Die Leute wollen lieber Koz̧eluch hören.
    Das sei zwar kein Grund. Aber bitte. Er freue sich trotzdem.
    Und sie erst!, sagte sie. Sie habe sich noch nie so gefreut. Zum Fürchten, wie sie sich jetzt freue. Als ob sie daran sterben werde.
    Das denke sie, sagte er, weil sie ihr Ziel erreicht habe.
    Und sie: Sie habe es nicht erreicht. Noch nicht. Ihr Ziel sei Versailles . Sie wolle eingeladen werden. Vom König. Ein Konzert spielen in der Grande salle . Dort wie hier beklatscht werden.
    Sie habe Chancen, erwiderte er leise. Im Saal habe er den König gesehen.
    Und die Königin, sagte sie.
    Allein, dass sie da sind, gab er zurück. Und wie ihre Mutter neben der Königin throne.
    Davon werde ihre Mutter den Rest ihres Lebens zehren. Sie fügte hinzu, Je weniger die Mutter von ihm sehe, desto besser. Sie wolle nicht, dass er in den Saal zurückkehre.
    Keine Angst. Er habe hinter einer Dame mit modischer Ballonfrisur gesessen, habe die Nase voll vom Puder.
    Die Frisur, die er ihr dann beschrieb, wird sie sich merken. Auch in den Locken waren kleine Ballons befestigt, und einer sogar mit einem Korb dran. Darin die Gebrüder Montgolfier – bunt bemalte Bleifigürchen. Die Arme ausgestreckt in himmelweiter Geste. Damit wird sie ganz Wien überraschen.
    Man habe ihn problemlos durchgelassen, sagte er. Kenne ihn hier.
    Natürlich. Wo nicht. Dass man ihn hier kennt, ist bekannt bis nach Wien. Gleichgültig, wo Mesmer lebt, man kennt ihn. Er fällt immer und überall auf. Ein artfremder Vogel. Und wo in der Welt fallen sie nicht über die Artfremden her.
    Als er in den Saal getreten sei, sagte er, hätten sich reihenweise die Köpfe gedreht.
    Aber sie hat nichts gemerkt. Sie war mit sich beschäftigt. Sich zu sammeln vor dem Konzert. Das hat er natürlich nichtgeglaubt. Wie auch. Sie war ja auf Seiten der Lüge. Sobald sie den Mund aufmachte und nicht von Freude sprach. Aber manche Lügen sind ehrlicher als die Wahrheit.
    Sie hebt ihr rotes Kleid sacht mit den Händen an und beginnt, die Stufen hinaufzusteigen.
    Er behauptete, auch ihr Gesicht habe sich nach ihm umgedreht. Aber nicht wie die andern. Eher wie eine Blume nach der Sonne.
    Und sie hatte plötzlich ihr Lachen nicht festhalten können. Nicht wegen dem, was er gesagt hatte, kriegte sie kaum Luft, überhaupt nicht. Sie hatte einfach gelacht. Sie habe nicht aufgepasst. Wenn sie nicht aufpasse, lache sie. So wie ein Montgolfier in die Luft steige, wenn man ihn nicht festhalte. So lache sie. Das habe allein mit diesem Abend zu tun. Dem Ort. Und dem nicht endenden Applaus. Dem Stand der Sterne und seinem Fluidum …
    Sie war hinterm Paravent hervorgetreten und hatte sich an den Tisch gesetzt. Als er sich ebenfalls setzte, dachte sie,
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