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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik
Autoren: Alissa Walser
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er lese das Journal de Paris .
    Die Tuilerien liegen einen Katzensprung entfernt. Und für zwei Beine fünf Minuten. Ob er hingehe?
    Selbstverständlich, lügt er.
    Seien Sie früh da, es wird voll, sagt sie, sehr, sehr voll.
    Wie gut, dass sie das sage.
    Er öffnet die Tür.
    Er sei ihr dankbar.
    Das ungelogen. Unendlich dankbar ist er ihr, dass sie endlich sein Haus verlässt.
    Jetzt noch die Schüler. Die sitzen bereits im abendlichen Kreis. Der Kreis hat eine Lücke. Die er, der Meister, zu schließen hat. Vis à vis Bergasse. Flankiert von Carra und d’Eslon. Brissot lasse sich entschuldigen.
    Pas de problème .
    Lafayette hingegen ist da und Puységur. An Ehrgeiz mangelt es nicht in der Runde. Nach einem langen Tag Praxis ( »Allez, touchez, guérissez, monsieurs« ) auch nicht an neuen Erfahrungen. Die rauswollen, berichtet, besprochen und befragt. Wozu hat man ihn da sitzen. Den leibhaftigen Meister. Der heute in seinem Leib nicht zur Ruhe kommt. Platzen könnte er vor Ungeduld. Aber dann platzen höchstens seine Schüler, und allen voran d’Eslon mit einem nächsten, allerneuesten Erlebnis heraus.
    Heute habe er einer jungen Frau (da hat der Meister natürlich Maria im Kopf ) die Hände auf den Bauch gelegt. Er habe den Bauch kaum berührt, da sei sie schon explodiert … in eine heftige Krise.
    Na ja, sie sei eben empfänglich, die junge Frau, sagt Mesmer, der die Runde so dringend loswerden will, wie die ihreKommentare. Maria könnte noch klingeln. Letzte Gelegenheit, ihn vor dem Konzert aufzusuchen.
    Worauf d’Eslon hinauswolle?
    Er sei überzeugt, hört er d’Eslon, dass die junge Frau nicht durch sein Zutun zur Krise gelangt sei, sondern durch eigene Einbildungskraft. Ab jetzt, sagt er, werde er sich hauptsächlich darauf konzentrieren: auf die Kraft der Einbildung.
    Mesmer schweigt. Fixiert einen Schüler nach dem andern. Schweigt. In die Spannung hinein, nennt er d’Eslons Aussage eine Katastrophe. Ein Armutszeugnis. Den Beweis dafür, dass d’Eslon bis jetzt nichts gelernt habe. Absolut nichts. Hoffnungslos am Anfang stehe. Dass er nicht begriffen habe, worum es gehe. Diese Kraft. Universalkraft. Das Fluidum, das sich von Mensch zu Mensch übertrage, sei die Basis seiner Entdeckung, auch wenn mit heutigen Messinstrumenten nicht nachzuweisen. Wer auf eigene Faust losziehe, bevor er die Basis begreife, der sei fehl am Platz.
    Also konzentrieren Sie sich darauf, meine Herren. Oder gehen Sie.
    D’Eslon sieht ihn entgeistert an.
    Die menschliche Einbildung sei ebenfalls eine starke Kraft.
    Die Schüler diskutieren. Wägen ab.
    Der Meister hört sich erst, als er schon brüllt. D’Eslon argumentiere genau wie die Ärzte der Pariser Fakultät, die ihn nicht eingeladen hätten. Genau wie die Regierungskommission, die ihn abgelehnt habe. Die vom König einberufene Kommission stehe noch aus. Die Pariser Instanzen, die, eine nach der anderen, den Animalischen Magnetismus vom Tisch fegten, mit einem Haufen von Wörtern für nichts und wiedernichts. Mächtig wie seine Sprachlosigkeit für das Große und Ganze. Weil sie das Fluidum nicht messen könnten, existiere es nicht. Alles, brüllt er, alles beruhe auf Einbildung. Ungebildeter Einbildung.
    Halt, ruft d’Eslon. Genau darauf wolle er ja hinaus.
    Aber Carra überschreit ihn, Ob man einig sei, dass alle drei genannten Institutionen elitistisch, volksfeindlich seien. Und dass man solche Institutionen in Zukunft nicht mehr brauche.
    Lärmende Zustimmung.
    Abschaffen müsse.
    Noch mehr Lärm.
    Wie direkt das Moralische auf das Körperliche einwirke, Bergasse verschluckt sich fast, das sei rein politisch zu nennen. Und wer es schaffen wolle, müsse sich ein Geheimnis zulegen.
    D’Eslon (schreiend), Er stehe zu seiner Aussage. Die Einbildungskraft sei wesentlich dafür verantwortlich, dass Mesmers Methode wirke.
    Im Stimmengewirr dringt Mesmers Protest nicht durch. Aber etwas dringt zu ihm durch. Im Vielklang der Stimmen erreicht ihn ein Ton: eine zarte Terz in Moll. Die Türglocke.
    Er steht auf. Verlässt den Raum. D’Eslons Stimme ist laut genug. Überall zu hören. Im Gang, in der Halle, an der Tür.
    Mesmers Theorie sei, wenn die Einbildung die Hauptrolle darin bekäme, nicht weniger wert. Darin unterscheide er sich doch von den Mitgliedern der Königlichen Kommissionen. Für ihn, Verzeihung, für mich, macht die menschliche Einbildung alles noch interessanter.
    Und er hört Puységur zustimmen, dass da was dran sei. Jener allerdings glaube, dass in
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