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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung
Autoren: Amelie Fried
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geradezu friedlich. Seit dem Schock über Lucys plötzliches Verschwinden war zwischen Friedrich und mir eine Art Waffenstillstand eingetreten, ganz von allein und ohne daß wir darüber gesprochen hätten. Wir hatten beide begriffen, daß die Situation ernst war, sehr ernst. Und daß wir sie nur würden ertragen können, wenn wir zusammenhielten.
    Queen Mum räumte schweigend ab, während wir unsere Gläser leertranken, jeder in Gedanken versunken. Es ging auf Mitternacht zu.
    »Bist du mir böse, wenn ich versuche, ein bißchen zu schlafen?« fragte Friedrich.
    Ich schüttelte den Kopf. Er stand auf, ging hinter mir vorbei, und seine Hand strich dabei zaghaft über meinen Kopf. Ich hielt sie fest und preßte einen Moment meine Wange in seine Handfläche.
    Dann ging ich auf die Terrasse und setzte mich in einen Liegestuhl.
    Es war ein windstiller Spätsommerabend, immer noch ziemlich warm, aber angenehm. Ich stützte den Kopf in die Hände und starrte in die Dunkelheit. Aus der Küche hörte ich meine Mutter mit dem Geschirr klappern. Das Leben könnte so schön sein, dachte ich plötzlich. So was hatte ich schon lange nicht mehr gedacht.
    Aber da war dieser bohrende Schmerz in der Magengegend, diese Angst, die immer wieder aufflammte, diese quälenden Schuldgefühle. Ich war es, die Lucy zu dieser Verzweiflungstat getrieben hatte, durch meinen kindischen Weltschmerz, meinen egoistischen Rückzug.
    Ich hatte wirklich auf der ganzen Linie versagt. Als Mutter, als Tochter, als Ehefrau und als Geliebte. Nicht zu vergessen als Sängerin und »Beautyline«-Unternehmerin.
    Und morgen würde ich noch mal Gelegenheit haben, mich als Moderatorin zu blamieren, nachdem mir das aus unerfindlichen Gründen beim ersten Mal nicht gelungen war.
    Ich war drauf und dran, mich in einer Woge von Selbstmitleid zu ertränken, als meine Mutter sich neben mich setzte, ein Glas Wein in der Hand.
    »Ich weiß, wie du dich fühlst, mein Anna-Kind.«
    Ich sah sie fragend von der Seite an.
    »Erinnerst du dich? Du bist auch mal abgehauen, damals, als du Schauspielerin werden wolltest.«
    »Waaas?« Ich konnte mich überhaupt nicht daran erinnern.
    »Du bist mit dem Nachtzug nach Berlin gefahren, weil du die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule machen wolltest. Weil du nicht volljährig warst, haben sie dich postwendend zurückgeschickt.«
    Oh, Scheiße, sie hatte recht. Es war eine so furchtbare Niederlage gewesen, daß ich das Erlebnis völlig verdrängt hatte. Mir fiel ein, wie die Typen in der Schauspielschule mich ausgelacht hatten, und ich spürte, wie mein Gesicht rot vor Scham wurde. Aus dieser Erfahrung resultierte wohl meine Angst vor öffentlichen Auftritten, gepaart mit einem merkwürdig masochistischen Zwang, es doch immer wieder zu probieren.
    »Du hast damals nicht mal einen Brief hinterlassen. Ich bin fast gestorben vor Angst.«
    Ich drückte ihre Hand.
    Ob Lucy wußte, was sie mir und Friedrich mit ihrem Verschwinden antat? Wahrscheinlich nicht. Wenn ich mich zurückerinnerte, wie ich mich damals gefühlt hatte, konnte ich mir plötzlich vorstellen, was Lucy empfand.
    Sie war, wie alle in ihrem Alter, davon überzeugt, daß ihr nichts zustoßen könnte. Sie war außerdem der Meinung, erwachsen zu sein und ihre Entscheidungen selbst treffen zu können. Sie war wütend auf uns, weil wir uns anmaßten, immer wieder in ihr Leben einzugreifen.

    Und sie haßte sich dafür, daß sie trotzdem so an uns hing.
    Vor allem aber konnte sie sich nicht vorstellen, wie hilflos und verzweifelt man als Mutter sein Kind liebt.
    Daß man eher sterben würde, als zuzulassen, daß diesem Kind etwas passiert.
    Ich lehnte meinen Kopf an Queen Mums Schulter.
    »Bist du glücklich, Mummy?« fragte ich leise.
    »Wenn du Martin meinst, ja, mit ihm bin ich glücklich.
    Sehr sogar. Über anderes in meinem Leben bin ich nicht so glücklich.«
    »Vielleicht sollten wir aufhören, uns gegenseitig immer ändern zu wollen«, schlug ich vor.
    »Oder immer zu glauben, der andere wolle uns ändern«, lächelte sie.
    Spätestens an diesem Punkt hätten wir früher angefangen zu streiten. Jetzt erkannte ich, wie dumm und sinnlos das gewesen war. Meine Mutter würde sich nicht mehr ändern.
    Ich mußte sie nehmen, wie sie war. Besitzergreifend, rechthaberisch, anstrengend. Aber auch großzügig, spontan und unkonventionell. Natürlich mischte sie sich ständig in mein Leben ein, und natürlich hatte sie dazu eigentlich kein Recht. Aber vielleicht war es ja
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