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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung
Autoren: Amelie Fried
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allein?«
    »Das wissen wir auch nicht. Hat sie dir irgendwas gesagt? Daß sie verreisen will oder so?«
    Jonas dachte angestrengt nach.
    »Sie hat gefragt, ob ich ihr mein Taschenmesser leihe.
    Ich hab sie gefragt, warum, aber sie wollte es mir nicht sagen.«
    »Hast du’s ihr gegeben?«
    Jonas nickte.
    Was wollte sie mit einem Taschenmesser? Sich die Pulsadern aufschneiden? Sich gegen Angreifer verteidigen?
    »Sie hat mich gefragt, ob ein Flaschenöffner dran ist«, ergänzte Jonas.

    »Ist dir noch irgendwas aufgefallen?«
    »Ja, neulich habe ich zugehört, wie sie telefoniert hat. Ich glaube, mit Natalie. Da hat sie geschimpft, daß Zugfahren so teuer ist.«
    Aufgeregt berichtete ich Friedrich von meiner Unterhaltung mit Jonas. »Das könnte doch eine Spur sein! Vielleicht ist sie zu Natalie gefahren!«
    »Wohin ist Natalie denn gezogen?« fragte Friedrich, aber ich konnte mich nicht erinnern. Ich rief sofort bei ihren Mitschülerinnen an. Leider erreichte ich nur eine von ihnen, und die war sich nicht sicher.
    »Irgendwo nach Franken, glaube ich. Amberg, Bamberg, Nürnberg?«
    »Wer könnte das denn genau wissen?« bohrte ich nach.
    »Kati und Johanna.« Das waren die zwei, mit denen ich am Vortag auch gesprochen hatte. »Aber die sind heute zusammen in die Ferien gefahren.«
    Ich versuchte, mich zu erinnern, wie Natalie mit Familiennamen hieß. Es war irgend so ein komplizierter Doppelname, den ich mir schon aus Prinzip nicht gemerkt hatte. Für uns war sie immer Natalie gewesen, und ihre Mutter und ich hatten uns zwar gesiezt, aber bei den Vornamen genannt.
    Es war aussichtslos. Ich bat Friedrich, die wenigen Informationen an die Polizei weiterzugehen. Vielleicht konnten die doch irgendwas damit anfangen.
    Ich raste in die Stadt zu meiner Redaktionsbesprechung.
    »Sie sehen müde aus«, bemerkte Frau Wüster.
    »Gut, daß wir kein Fernsehen machen, was?« scherzte ich mühsam. Ich hatte mir vorgenommen, nichts über Lucy zu sagen. Private Dinge hatten in einer Redaktionskonferenz nichts zu suchen, fand ich.

    Mit aller Kraft versuchte ich, mich aufs Thema zu konzentrieren. Aber Lucy ging mir nicht aus dem Kopf.
    Mal war ich zuversichtlich, daß sie bald zurückkommen oder sich melden würde, dann überfielen mich Schreckensvisionen, wie sie vergewaltigt und ermordet am Straßenrand lag, weil sie getrampt war, statt mit dem Zug zu fahren.
    Wenn wir nur rauskriegen könnten, wo Natalie wohnte, dann wären wir vielleicht einen kleinen Schritt weiter.
    Plötzlich hatte ich die Idee.
    »Kann man im Radio nicht Suchmeldungen durchgeben?« platzte ich Frau Wüster ins Wort, die mir gerade den Beziehungsknatsch unserer Studiogäste auseinandersetzte.
    »Äh … wie bitte?«
    Ich vergaß meinen guten Vorsatz und erklärte ihr, was passiert war. Vielleicht könnte man Lucy übers Radio bitten, zu Hause anzurufen, oder Natalie auffordern, sich zu melden.
    »Natürlich können wir das machen, ich rufe gleich den zuständigen Redakteur an«, sagte Frau Wüster und sah mich eindringlich an.
    »Können Sie unter so schwierigen Umständen morgen überhaupt moderieren? Bitte sagen Sie’s ehrlich, noch können wir einen Ersatz organisieren.«
    »Ich glaube, ich schaffe es schon«, sagte ich und versuchte ein Lächeln. Diesmal würde ich nicht weglaufen.

    Auf dem Heimweg stellte ich mein Autoradio auf »Radio Süd« ein. Und tatsächlich, zwischen zwei Songs hörte ich plötzlich den Moderator.

    »So, und das ist eine dringende Suchmeldung. Seit gestern wird die sechzehnjährige Lucy Schrader aus Trudering vermißt. Sie hat eine schwarze Reisetasche bei sich und trägt vermutlich eine neongrüne Windjacke.
    Lucy, falls du uns hörst, bitte ruf deine Eltern an! Falls sonst jemand etwas über den Verbleib von Lucy weiß, bitte melden Sie sich bei uns oder bei jeder Polizeidienststelle.«
    Kaum war ich zu Hause, klingelte das Telefon. Queen Mum.
    »Warum sagt mir niemand, daß Lucy verschwunden ist?
    Das ist ja furchtbar!«
    »Ja, Mummy, wir machen uns auch große Sorgen. Aber ich habe keinen Sinn darin gesehen, dich zu ängstigen. Die Polizei sagt, die meisten kommen innerhalb von zwei Tagen wieder.«
    »Und seit wann ist sie weg?«
    Ich stockte. »Seit anderthalb Tagen.«
    »Ich komme zu euch.«
    Nein, wollte ich rufen, bitte nicht, aber sie hatte schon aufgelegt.
    Ich ließ mir von Friedrich die Nummer der Polizeiwache geben, bei der er Lucys Verschwinden gemeldet hatte.
    Ich hoffte, es gäbe inzwischen eine Spur von
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