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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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Aufprall klingt. Meine Mitschüler sehen blaß und erschrocken aus. Man sieht ihnen an, daß sie dankbar sind, daß es sie nicht getroffen hat.
    Eine Woche später feiern wir meinen Geburtstag.
    Von den dreißig Gästen sind elf mit dem Motorrad gekommen. Und ich bewerbe mich in aller Form bei Panne um die Aufnahme in den Rocker-Club. Der Tod geht uns nichts an. Der Tod ist etwas für die anderen.

    Die großen Ferien waren da. Kein Kindergarten, keine Schule, die Kinder hingen den ganzen Tag zu Hause herum und stritten. Es herrschte eine lähmende Hitze, die einem fast das Gehirn rausbrannte.
    Friedrich hatte Urlaub genommen, weil ich wie ein Schatten meiner selbst durch die Gegend schlich und nicht in der Lage war, den Haushalt zu führen und die Kinder zu versorgen.
    »Willst du nicht doch mal zum Arzt?« fragte er immer wieder, aber ich winkte ab. Es war mir egal, wie es mir ging. Es war mir auch egal, wie es den anderen ging. Mir war alles egal.
    Zwischen Friedrich und mir hatte sich eine neue Rollenverteilung herausgebildet. Anders als früher war er plötzlich sehr fürsorglich und kümmerte sich rührend um mich. Er machte mir keine Vorwürfe mehr, und seine Wut war einer stillen Traurigkeit gewichen.
    Ich dagegen war launisch und reizbar, manchmal verfiel ich in depressive Stimmungen oder zog mich unvermittelt ganz zurück. Zum ersten Mal seit Jahren hatte ich aufgehört, mich verantwortlich zu fühlen. Ich überließ Friedrich die Organisation des Alltags, die Kämpfe mit den Kindern, das Schwätzchen mit den Nachbarn. Ich kümmerte mich um nichts, tat nichts und wollte nichts.

    Eines Tages klingelte es an der Tür. Friedrich war nicht da, ich dachte nicht daran, zu öffnen. Bevor ich ihn daran hindern konnte, rannte Jonas zur Tür.
    »Da ist eine Frau, die will zu dir«, meldete er.
    »Schick sie weg«, befahl ich.
    Er kam wieder.
    »Die will nicht gehen.«
    Seufzend erhob ich mich vom Sofa und schlurfte zur Tür.
    Es war Frau Wüster. Sie hielt einen Blumenstrauß in der Hand und sah mich verschüchtert an.
    »Ich wollte nicht stören, am besten ich gehe doch wieder.«
    »Schon gut, kommen Sie rein«, sagte ich und versuchte zu lächeln. Ich nahm ihr die Blumen ab und stellte sie in eine Vase.
    Mein Blick fiel in den Garderobenspiegel. Ich sah zum Fürchten aus. Ich hatte seit Tagen meine Haare nicht gekämmt, war blaß und aufgequollen.
    Ich bat Frau Wüster, sich einen Moment zu gedulden, und ging ins Bad. Dort machte ich mir eine Art Frisur, legte Rouge und Lippenstift auf und besprühte mich mit Parfüm. Ich holte tief Luft und ging aufrecht die Treppe herunter.
    »Mir geht’s zur Zeit nicht so gut«, entschuldigte ich mich, »aber ich freue mich, Sie zu sehen.«
    Das war nicht mal gelogen, ich freute mich wirklich, daß es jemanden gab, der sich an mich erinnerte. Und Frau Wüster mit ihrer direkten Art und der frechen Stachelfrisur war mir von Anfang an sympathisch gewesen.
    »Was fehlt Ihnen denn?« fragte sie und musterte mich, ob irgendwelche Krankheitssymptome zu erkennen waren.
    »Ach, nur ein bißchen Weltschmerz«, sagte ich wegwerfend. Es klang, als hätte ich meine Tage und nicht die Nachwehen einer Überdosis Valium.
    »Das mit der Sendung läßt mich einfach nicht los«, sagte Frau Wüster. »Es hat mir wirklich leid getan, daß Sie so wütend waren, wir haben es doch nur gut gemeint.«
    »Schon o.k.«, winkte ich großmütig ab, »längst vergessen.«
    »Ich wollte sie fragen, ob Sie nicht vielleicht doch Lust hätten? Der Radio-Talk soll jetzt täglich laufen, wir brauchten noch jemanden fürs Moderatorenteam.«
    Ohne nachzudenken schüttelte ich den Kopf. Die Vorstellung, daß ich in meinem Leben noch mal was anderes tun sollte, als auf dem Sofa zu liegen und alles schrecklich zu finden, überforderte mich völlig.
    Jetzt ging plötzlich eine merkwürdige Veränderung mit Frau Wüster vor sich. Die sonst so sanfte Frau setzte sich aufrecht hin, sah mich streng an und schimpfte:
    »Mensch, Bella, verdammt noch mal! Tausende von Leuten wünschen sich diesen Job, und Ihnen tragen wir ihn auf dem Silbertablett nach! Das ist Ihre letzte Chance, und wenn Sie jetzt nicht zugreifen, können Sie mich mal gern haben.«
    Sie machte Anstalten aufzustehen.
    »Halt, warten Sie doch!« Ich hielt sie am Arm fest.
    Sie hatte ja recht. Ich war eine dumme Gans. Nur weil ich mich fürchtete, wollte ich nicht mehr moderieren.
    Was hatte ich mir mal vorgenommen? Ich wollte all das tun, wovor ich Angst

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