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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung
Autoren: Amelie Fried
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wirklich nur ihre komische Art, ihre Liebe zu zeigen.
    Was mich betraf, hatte ich sicher noch einiges zu lernen.
    Ob das Resultat meiner Mutter gefallen würde oder nicht, konnte mir herzlich egal sein, ich brauchte ihre Bestätigung nicht mehr. Es war mein Leben, und ich wußte, ich würde es irgendwie über die Runden bringen.
    Queen Mum erhob sich. Fröstelnd zog sie die Jacke um ihre Schultern enger.
    »Ich fahr zurück in die Stadt, Anna-Kind.«
    Ich rief ihr ein Taxi und begleitete sie hinaus, wie neulich, als sie mitten in der Nacht zu Martin geflüchtet war.
    Ich stellte ihren Korb auf den Rücksitz. Dann umarmte ich sie. Es war ungewohnt, daß sie nicht mehr nach Zigaretten roch. Ich hatte das Gefühl, zum ersten Mal ihren eigenen Duft wahrzunehmen.
    »Danke für alles, Mummy.«
    Sie drückte mich kurz, dann stieg sie ins Auto und ließ die Scheibe runter.
    »Bitte ruft mich sofort an, wenn ihr Nachricht von Lucy habt.«
    Ich nickte. Sie begann, die Scheibe raufzukurbeln.
    »Mummy?«
    Sie hielt inne.
    »Ja, Anna-Kind?«
    »Ach nichts.«
    Ich lächelte. Sie lächelte zurück. Ich sah, daß sie Tränen in den Augen hatte.

Fünfundzwanzig
     
    Es war die Hölle.
    Ich war fast die ganze Nacht schlaflos durchs Haus gewandert. Irgendwann war ich erschöpft auf dem Sofa eingeschlafen.
    Frühmorgens war ich aufgewacht mit dem Gefühl, jemand habe mir in den Magen getreten. Es war die Angst, die schlagartig zurückgekehrt war.
    »Lucy!« schrie ich auf und brach das erste Mal, seit sie weg war, in verzweifeltes Weinen aus.
    Es war jetzt genau zwei Tage her, seit sie verschwunden war. Statistisch gesehen sank ab sofort die Chance, daß sie zurückkommen würde, auf zehn Prozent.
    Wie ein geprügeltes Tier schlich ich ins Badezimmer, in die Küche, zu meinen Unterlagen. Als Friedrich aufstand, hatte ich schon zwei Stunden versucht, irgendwelche Informationen in mein Hirn zu pressen.
    Als er zu mir kam, stand ich auf und warf mich in seine Arme.
    »Ich halte diese Ungewißheit nicht mehr aus«, schluchzte ich. Er streichelte mich, und ich merkte, daß er selbst weinte.
    Ich hatte so gehofft, die Radio-Durchsage würde einen Erfolg bringen. Aber mit jeder Stunde, die danach vergangen war, war meine Zuversicht geschwunden. Ich wollte nur diese verdammte Sendung hinter mich bringen und dann … Ja, was dann?
    »Ihr sollt nicht weinen«, ertönte ein zartes Stimmchen.
    Wir lösten uns aus der Umarmung und bemühten uns beide, zu lächeln.
    »Habt ihr euch wieder lieb?« fragte Jonas hoffnungsvoll.
    »Ich glaube, wir haben nie aufgehört uns liebzuhaben«, sagte Friedrich, »aber manchmal ist das eben nicht genug.«
    Wir frühstückten und gaben uns alle den Anschein, als wäre es ein ganz normaler Morgen.
    »Wollen wir eine Radtour machen?« schlug Jonas vor und fügte leise an: »Wir könnten Lucy suchen.«
    Ich tauschte einen Blick mit Friedrich.
    »Paß auf«, sagte er, »wir beide machen eine Radtour, damit Mami in Ruhe arbeiten kann. Und heute nachmittag hören wir uns zusammen ihre Sendung an.«
    Das leere, ruhige Haus steigerte noch meine Verzweiflung.
    Ich versuchte zu arbeiten und lauschte die ganze Zeit mit halbem Ohr, ob nicht vielleicht doch das Telefon klingelte.
    Mindestens zehnmal kontrollierte ich, ob der Hörer richtig auflag, ob der Stecker drin war, ob die Klingel laut gestellt war. Das verdammte Ding rührte sich nicht.
    Gegen Mittag fuhr ich in den Sender. Dort herrschte die gleiche Hektik wie beim letzten Mal.
    »Ist Ihre Tochter aufgetaucht?« fragte Frau Wüster in einem ruhigen Augenblick.
    Ich preßte die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
    Mir war klar, daß ich nicht länger daran denken durfte, sonst würde ich die zwei Stunden nicht durchstehen.
    Ich hatte drei Studiogäste: eine Mutter um die fünfzig mit ihrer vierundzwanzigjährigen Tochter und einen sympathisch aussehenden Arzt und Psychotherapeuten, der auf Familientherapie spezialisiert war.

    Frau Dankwart und ihre Tochter Anita waren sich nicht mal einig, ob sie Kaffee oder Mineralwasser wollten, sie konnten sich nicht entscheiden, wer auf welchem Stuhl sitzen und wer die erste Antwort geben sollte. Bei unserem kurzen Vorgespräch wurde klar, daß es kein Thema gab, das die beiden nicht erst mal ausdiskutieren mußten.
    Professor Lanz lächelte unmerklich in sich hinein, als er ihnen zuhörte. Die wären sicher ein gefundenes Fressen für seine Praxis, aber als ich nachfragte, ob sie schon mal eine Therapie gemacht hätten,
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