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Am Anfang des Weges

Am Anfang des Weges

Titel: Am Anfang des Weges
Autoren: Richard Paul Evans
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passiert war, gefunden. Ihr Pferd hat gescheut und sie abgeworfen.«
    »Wie ging es ihr?«
    Ich wollte tröstliche Worte hören, aber sie schüttelte nur den Kopf. »Nicht gut.«
    Es dauerte noch einmal zehn Minuten, bis eine junge Frau mit einem knabenhaften Gesicht und kurzen Haaren aus der Doppeltür der Notaufnahme ins Wartezimmer kam. Sie trug Hosen und eine Seidenbluse, und an einer Kordel um ihren Hals baumelte ein Plastik-Namensschild. Die Frau hinter der Trennscheibe deutete auf mich, vermutlich nur zur Bestätigung. Es war nicht schwer, den verzweifelten Typen zu erkennen. »Mr. Christoffersen?«
    Ich stand auf. »Ja.«
    »Ich bin Shelly Crandall. Ich bin eine Sozialarbeiterin des Krankenhauses.«
    Sie haben eine Sozialarbeiterin geschickt? , dachte ich. »Ich will meine Frau sehen.«
    »Es tut mir leid, aber die Ärzte sind noch bei ihr.«
    »Was ist los?«
    »Ihre Frau hat einen Wirbelbruch im Oberrücken erlitten. Die Ärzte sind dabei, sie zu stabilisieren.«
    »Ist sie gelähmt?« Die Worte waren einfach aus mir herausgeplatzt.
    Sie zögerte. »Es ist noch zu früh, um das sagen zu können. Bei einer Verletzung wie dieser kommt es zu etlichen Schwellungen, die die Nerven beeinträchtigen können. Im Allgemeinen warten wir zweiundsiebzig Stunden mit einer genauen Prognose, was die Schädigung des Rückenmarks anbelangt.«
    »Wann kann ich sie sehen?«
    »Es wird noch ein paar Stunden dauern. Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie zu ihr bringen werde, sobald sie draußen ist. Es tut mir leid, Mr. Christoffersen.«
    Ich ließ mich wieder auf den Stuhl fallen. Monnie und ihr Mann saßen mir schweigend gegenüber.
    Das Warten war quälend. Mit jeder Minute, die verstrich, schien etwas Hoffnung zu schwinden. Ich lauschte ängstlich auf die Lautsprecherdurchsagen zu eingelieferten Traumafällen und Patientennotrufen und fragte mich, ob sie über McKale redeten.
    Fast zwei Stunden nach meiner Ankunft führte mich die Sozialarbeiterin durch die Doppeltür der Notaufnahme. Mein erster Gedanke, als ich meine Frau sah, war, dass es sich um eine Verwechslung handelte und man mich in den falschen Raum gebracht hatte. McKale war lebendig und kräftig. Die Frau, die in einem Krankenhaushemd in dem Bett lag, sah winzig und zerbrechlich aus. Gebrochen.
    Meine McKale war gebrochen. Sie hatte die Augen geschlossen, und ihr Haar lag ausgebreitet auf dem Kissen hinter ihr. Das Bett war von Monitoren flankiert. Ein Infusionsschlauch führte in ihren rechten Arm. Ich stellte mit Verwunderung fest, dass sie noch immer Erde im Gesicht hatte. McKale war mit dem Gesicht nach unten von ihrem Pferd gefallen, und während der Notversorgung hatte sich niemand die Zeit genommen, sie zu waschen.
    Meine Beine fühlten sich an, als würde mein Körper auf einmal eine ganze Tonne wiegen. Ich lehnte mich gegen das Gitter des Bettes, während sich meine Augen mit Tränen füllten. »Mickey …«
    Beim Klang meiner Stimme öffneten sich McKales Augen mit einem Flattern, und sie sah zu mir hoch.
    Ich drückte ihre Hand. »Ich bin hier.«
    Tränen traten ihr in die Augen. Ihre Stimme kam leise. »Es tut mir so leid.«
    Ich kämpfte gegen meine eigenen Tränen an. Ich musste für McKale stark sein. »Was tut dir leid?«
    »Ich habe alles ruiniert.«
    »Nein, Schatz. Es wird alles gut mit dir. Es wird alles gut werden.«
    Sie sah mich einen Augenblick lang an, dann schloss sie die Augen. »Nein, das wird es nicht.«
    Die nächsten vierundzwanzig Stunden waren ein einziger Albtraum. Über die Infusion wurde McKale kontinuierlich mit Morphin versorgt, und während ich neben ihr saß, verlor sie immer wieder für kurze Zeit das Bewusstsein. Einmal wachte sie auf und fragte, ob das alles ein Traum sei. Ich wünschte so sehr, ich hätte »Ja!« sagen können. Gegen acht verließ ich das Zimmer, um ein paar Telefonate zu erledigen.
    Mein erster Anruf galt McKales Vater. Er fing an zu weinen und versprach, mit dem nächsten Flug zu kommen. Danach rief ich meinen Vater an. Er war still, als ich es ihm sagte. »Es tut mir leid, mein Sohn. Brauchst du irgendetwas?«
    »Ein Wunder.«
    »Ich wünschte, ich hätte eines. Soll ich hochkommen?«
    »Nein.«
    »Okay.« Das war ihm nur recht. Es war uns beiden recht. So war es eben.
    Etwas später an diesem Abend bekam ich einen Anruf von Kyle. »Wie geht es McKale?«
    »Augenblick«, sagte ich. Ich verließ McKales Zimmer. »Sie hat sich den Rücken gebrochen. Es ist schlimm. Wir wissen nur noch nicht, wie
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