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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde
Autoren: Mary Mackey
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die Schultern des Mannes und wuchtete ihn auf den Rücken. Als er sich drehte, fiel seine Kapuze zurück und entblößte sein Gesicht. Mit Erleichterung sah Marrah, daß es niemand war, den sie kannte.
    Aber wie seltsam er aussah! Er war alt, so alt, daß sein Haar und Bart eine sonderbar gelblich-weiße Farbe angenommen hatten, und dennoch wies sein Gesicht keine einzige Falte auf. Es war ein schmales Gesicht, länglich und mit einem energischen, ausgeprägten Kinn, und die Haut war so blaß, daß die Adern auf seinen Augenlidern durchschimmerten. In den Ohrläppchen trug er weitere Kupferringe, fünf oder sechs, und zwei goldene. Um seinen Hals hing eine Kette aus gefährlich aussehenden Zähnen von irgendeinem Tier, das Marrah nicht kannte, dazu ein kupferner Anhänger in Form der Sonne und noch einer, dessen Form an einen Hirsch erinnerte, nur daß das Tier stämmiger war, mit kräftigeren Beinen und Haaren auf Kopf und Hals anstelle eines Geweihs.
    Marrah lehnte sich auf die Fersen zurück und starrte den Mann verwundert an. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch niemanden gesehen, weder Mann noch Frau, der so reichlich mit Schmuck behängt war. Kein Wunder, daß er sich nicht schwimmend an Land hatte retten können. Was tat er mit so vielen Ringen und Ketten? Und dann seine Arme: Um jedes Handgelenk trug er sieben oder acht Armbänder, und dazu noch einen breiten Gürtel, und alle Schmuckstücke waren mit Muscheln und Ziernägeln aus Kupfer geschmückt. Sogar das Heft seines Messers wies Verzierungen aus Kupfer auf, und was für ein Messer! Es war so lang, daß man Mühe hätte, es für irgendeinen praktischen Zweck zu benutzen, und es steckte an seiner Hüfte in einer Lederscheide, so als ginge er niemals irgendwo ohne die Waffe hin.
    Mit einer stummen Entschuldigung an den Toten, für den offensichtlich jede Hilfe zu spät kam, streckte Marrah die Hand aus und zog das Messer aus der Scheide. Was für ein gefährlich aussehendes Ding das war, aus Knochen gefertigt und mit einer scharfen Schneide aus Feuerstein. An der anderen Seite seines Gürtels hing eine weitere Scheide – nein, ein Köcher – voller Pfeile mit scharfen Spitzen, die mit den Federn fremdartiger Vögel versehen waren. Marrah wog einen der schlanken Pfeile in der Hand und stellte fest, daß er perfekt ausbalanciert war. Es gab keinen in ihrem Dorf, der solche Pfeile oder ein solches Messer machen konnte.
    Vorsichtig strich sie mit der Fingerkuppe über die Schneide des Messers und bewunderte seine Schärfe. Der alte Mann mußte Jäger gewesen sein, aber wenn das der Fall war, warum war er dann wie jemand gekleidet, der eine religiöse Zeremonie durchführte? War er ein Priester? Es gab zwar Männer, die der Göttin dienten – allerdings nicht viele, denn von Frauen nahm man an, daß sie Ihre Stimme am deutlichsten hörten, aber manchmal konnten auch Männer Sie hören und kamen in einen Tempel, um dort ausgebildet und anschließend in die Gemeinschaft der Priesterinnen aufgenommen zu werden. Doch Priester trugen eigentlich kein Messer bei sich, es sei denn, sie gingen in den Wald, um Kräuter auszugraben, und was würde ein Priester mit Pfeilen anfangen? Und wer würde schon mit einer Halskette aus Kupfer auf die Jagd gehen? Es war alles höchst verwirrend.
    Marrah betrachtete den Mann genauer, versuchte irgend etwas zu sehen, was das Rätsel lösen würde, doch alles, was sie sah, verstärkte ihre Verwirrung nur noch. Seine Tunika war aus demselben, merkwürdig verfilzten braunen Pelz gemacht wie sein Umhang, und obwohl der Sommer bevorstand, trug er noch lederne Beinlinge und dicke Stiefel. Als Marrah vorsichtig den Umhang zurückschlug, bemerkte sie, daß die Tunika auf seiner linken Schulter mit Lederschnüren befestigt war. Das Leder sah fester aus als Wildleder, aber nicht so rauh wie Schweinsleder, und an einem Ende hingen Troddeln aus harten weißen, braunen und schwarzen Haaren, die zu einem hübschen Muster verflochten waren. Die Stellen nackter Haut, die zwischen der Verschnürung sichtbar wurden, waren mit Sonnen, weiteren fremdartigen Tieren und anderen Symbolen bemalt, die Marrah noch nie zuvor gesehen hatte, einschließlich eines Zeichens, das einen Blitz darzustellen schien. Wie war es möglich, daß sich diese Muster im Salzwasser gehalten hatten? Das Meer hätte seine Haut sauberwaschen müssen. Marrah biß die Zähne zusammen, berührte zaghaft das Blitzsymbol und stellte zu ihrer Überraschung fest, daß es keine Farbe
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