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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman
Autoren: Hans Fallada
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eines im letzten Augenblick vollmacht –!«
    Zuerst hatte der Professor noch versucht, die Frau Schlieker zu unterbrechen, dann aber hatte er still und geduldig unter diesem Wortschwall gestanden, und ein ganz ähnliches Gefühl von Trauer und Bestürzung war in ihm aufgestiegen wie vorhin bei dem Ausbruch Rosemaries am Zaun. Als sie aber geendet hatte, ging er auf die Frau zu, streckte ihr die Hand hin und sagte: »Gott zum Gruß, Frau Schlieker!«
    Sie sah die Hand verblüfft an, als habe sie einen Schlag bekommen, aber sie faßte sich und murmelte nur mürrisch: »Ja, ja, schon gut. Guten Abend also, und machen Sie, daß Sie jetzt weiterkommen.«
    »Nein«, beharrte er und bot ihr weiter die Hand. »Gott zum Gruß, habe ich gesagt. Das bedeutet etwas anderes.«
    Eine Weile war es still. Die weiße Männerhand zeigte immer weiter auf die Frau. Schließlich lachte die böse und doch verlegen auf: »Also, meinethalben: Gott zum Gruß.«
    Und sie berührte für eine Sekunde mit ihrer kühlen, feuchten Hand die des Professors.
    »Nun aber sehen Sie, daß Sie weiterkommen. Ich habe nicht so viel Zeit wie Sie. Ich habe fünf Gören zu versorgen.«
    »Und das sechste ist Rosemarie«, sprach der Professor sanft. »Haben Sie Rosemarie gemeint, als Sie von Ihrem Mädchen sprachen, das sich rumgetrieben hat?«
    »Ach nee«, antwortete die Frau gedehnt; der Zwischenfall eben war schon ganz vergessen und die alte, böse, streitlustige Stimmung erwacht. »Sie fragen also um die Marie –? Und warum tun Sie so, als kämen Sie vom Amt, und dabei kommen Sie von der Vormundschaft?! –
Wir
haben vor keinem Richter und vor keinem Gendarm Angst, daß Sie es nur wissen!! Und wenn Ihnen das Gör jetzt seine Lügen geschrieben hat, so wird ihr mein Mann schon zeigen, was
er
für eine Hand schreibt! Denn den alten Spruch kennen Sie ja wohl auch: Pastors Kinder und Müllers Vieh gedeihen selten oder nie …«
    Sie schoß zum Küchenfenster: »Päule! Päule! Sollst einmal kommen, wir haben feinen Besuch.«
    Und ohne Atemholen schalt sie weiter: »Aber wenn ich sie unser Mädchen nenne, so stehe ich auch dazu, denn was gehört ihr schon weiter von dem ganzen Betrieb hier als die Schulden?! Mein Mann und ich, wir dürfen uns ja wohl totschuften, bloß damit das feine Fräulein was vor den Schnabel kriegt, und mit fünf Unehelichen plagt man sich, nur damit sie im Winter was Warmes im Leibe und auf dem Leibe hat – aber danken tut es einem keiner! – Päule, da ist einer vom Vormundschaftsgericht und fragt nach der Marie.«
    Ein langer, rotblonder, noch junger Mann war in die Küche getreten, einen Eimer mit Milch in der Hand. Er lächelte den Besucher friedlich und freundlich an und sagte: »Na, Mali, dann wirst du heute mal die Milch durchdrehen müssen.«
    »Ich!« rief die Frau. »Ich – bei all meiner Arbeit, wo das Gör sich den ganzen Nachmittag rumgetrieben hat, und du liegst auch am liebsten auf dem Sofa! Ach, Päule, wenn der Gendarm wenigstens den Philipp zu fassen kriegte – ich wollte ihm schon eine Heimkehr besorgen!«
    »Ssssssst!« machte der Päule so scharf, daß der Professor zusammenfuhr. »Willst du mal deinen Mund halten! Marsch, los mit der Milch, eh sie kalt wird.«
    Selbst der Professor merkte es, daß der große, lange, freundliche Mann jetzt gar nicht mehr freundlich, sondern sehr finster aussah. Und die Frau hatte auch schonden Eimer genommen und war aus der Küche fort, wortlos, wie eine, die Angst hat.
    Aber gleich war der Herr Schlieker wieder nett: »Hier lang, bitte. Unsere gute Stube ist zwar kalt, aber Sie müssen’s nehmen, wie Sie’s finden. Wir sind arme Leute, aber ehrlich, wir stehlen kein Holz aus dem Wald wie die andern im Dorf. Lieber frieren wir und heizen bloß das Kinderzimmer, damit die junge Brut es warm hat … Nun warten Sie einen Augenblick hier, ich hole gleich die Lampe. Bleiben Sie hier fein still stehen. Es ist ein bißchen sehr dunkel, und hinten ist die Kellerluke offen, wo wir die Runkeln rausholen … Machen Sie bloß kein Schrittchen, daß Sie nicht ins Loch fallen, der Keller ist tief.«
    Die Tür klappte, und der alte Professor blieb, die Reisetasche noch immer in der müden Hand, im Finstern. Eine lange, lange Weile stand er so und wagte nicht, den Fuß zu heben, aus Furcht vor der offenen Rübenluke. Ihm dünkte, als hätte man in der Zeit zwanzig Lampen füllen, zurechtmachen und anzünden können. Der freundliche Päule kam selbst seinem menschengläubigen Herzen gar
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