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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman
Autoren: Hans Fallada
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nachher, Herre. Ich muß aufpassen, daß alles seinen Schick hat.«
    Er schritt die Reihe der Alten ab, lobend, tröstend, lachend, und Professor Kittguß sah ihm zu.
    Etwas berührte seine Hand. Er blickte hinunter auf ein kleines Mädchen mit langen, blonden Zöpfen. »Nun, mein Kind?« fragte er freundlich. »Was möchtest du wohl?«
    Die Kleine flüsterte hastig: »Beim Spritzenhaus müssen Sie rechts gehen. Es ist der letzte Hof mit den fünf Tannendavor. Sie dürfen nicht nach Rosemarie fragen. Sie dürfen sie gar nicht kennen.«
    Und sie lief fort.
    »Aber Kind –!« rief er ihr nach.
    Doch sie war schon untergetaucht in den Wirbel der andern. Wieder eine Botin – und welch eifrige!
    »Die Kinder scheinen alle von mir zu wissen. Und die Großen gar nichts«, dachte er verwundert. »Aber über all dem Scherz hier habe ich die Rosemarie doch fast vergessen.«
    Er sah sich um. Einige gingen schon. Das Lachen war vorbei, die frühe Oktoberdämmerung kam.
    »Jetzt habe ich keine Zeit mehr, mit dem Bauern zu sprechen«, entschied er und ging durch das Tor auf die Dorfstraße hinaus.
    Plötzlich war die Müdigkeit Herr über ihn geworden, mühsam ging er durch das rasch dunkler werdende Dorf. Oft wechselte er die Handtasche von der rechten in die linke Hand, sie war wie Blei. Die bevorstehende Aussprache mit der Rosemarie beschäftigte, die Ungewißheit, auf welch Kissen er diesen Abend sein Haupt legen würde, bedrückte ihn. Als Nachhall des ungewohnten Lachens auf dem Hof des Bauern Tamm war ihm ein unbestimmtes Gefühl grundloser Traurigkeit geblieben.
    Nach einer Weile kam er an einen dunklen, langgestreckten Schuppen. Hier verzweigte sich der Weg. Also war er beim Spritzenhaus und mußte nach rechts. Er ging, an sechs, acht kleinen Häusern vorbei, einen Weg, der, schmäler werdend, auf einen Hügel führte. Von der Höhe des Hügels sah er vor sich gegen den noch ein wenig hellen Himmel die Tannen und, lang hingestreckt, geduckt, lichtlos, das Haus.
    Eine Weile stand er, schweigend in Betrachtung versunken. So still war dies zur Ruhe gehende Land, mit See,Wald und Acker. Dann hörte er eine Kuh im Dorf brüllen, er seufzte, sprach: »Wohlan!« und ging auf das düstere Haus zu.
    Neben seinem Weg lief ein Staketenzaun, dunkel standen im Garten reihenweise zum weißlich schimmernden See hinab Büsche. Er war schon nahe seinem Ziele; es war nicht zu leugnen, daß sein Herz ein wenig rascher klopfte – da blieb er lauschend stehen: was hörte er? Noch ein paar Schritte tat er, hielt wieder an und fragte sachte ins Dunkle: »Weint hier jemand?«
    Es war ganz still, dann fing auf dem Hof ein Hund an zu bellen – und zerriß die Stille.
    »Komm, mein Mädchen. Komm, meine Rosemarie«, sagte der Professor sanft. »Ich bin es, dein Pate Kittguß, der Jugendfreund deines Vaters.«
    Zwischen den Büschen bewegte es sich, eine schlanke Gestalt trat an den Zaun, kaum unterschied er das weiß dämmernde Gesicht. Er tastete nach ihrer Hand, die kalt war.
    »Warum weinst du, Rosemarie?«
    Ihre helle Stimme, mit einem eigenwilligen spröden Klang kam überraschend böse zu ihm: »Und wo bist du so lange gewesen?! Vor drei Stunden hat der Hütefritz mir sagen lassen, daß er dich gesehen hat. Bist du auch wie die andern Männer, die sich erst Mut aus dem Krug holen?«
    »Kind! Kind!« rief der Professor erschrocken. »Was redest du?! Ich trinke nie, was trunken macht. Ich habe mich bei dem lustigen Bauern Tamm verweilt. Das war nicht recht – verzeih also.«
    Sie schwieg.
    »Und all diese Stunden hast du hier in der Kälte gestanden und auf mich gewartet?«
    »Ja!« rief sie böse. »Und ich habe meine Arbeit darüber versäumt, und die Schliekers haben nach mir gesucht und mich viele Male gerufen. Und wenn ich jetzt komme, wirder mich anbrüllen, und sie wird mich kneifen und an den Haaren ziehen. Das macht sie immer, wenn sie böse auf mich ist, und sie ist immer, immer böse auf mich!«
    »Keiner wird dich anbrüllen, und keine wird dich an den Haaren ziehen«, tröstete der Professor. »Denn ich werde mit dir gehen und zu ihnen sprechen.«
    »Nein, nein«, flüsterte sie hastig. »Du mußt erst viel später kommen, in einer viertel oder halben Stunde. Dann mußt du um ein Zimmer fragen und tun, als ob du mich gar nicht kennst. Sonst ist gleich alles verloren.«
    »Aber, Rosemarie, Kind«, sagte der Professor mahnend, »dann müßte ich ja lügen. Und das weißt du wohl noch von deinem lieben Vater, daß wir nicht
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