Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alterra. Im Reich der Königin

Alterra. Im Reich der Königin

Titel: Alterra. Im Reich der Königin
Autoren: Maxime Chattam
Vom Netzwerk:
sich einer auf eine Beute fallen ließ, folgten ihm sofort Hunderte andere, bis sie ihr Opfer vollständig bedeckten.
    »Niemals gehe ich da drunter durch!«, rief Tobias.
    »Bin ganz deiner Meinung«, sagte Matt.
    »Nur dumm, dass der Blinde Wald auf der anderen Seite ist«, erinnerte Ambre sie. »Wie stellt ihr euch das vor?«
    »Wir gehen nicht unter der Starkstromleitung durch«, erwiderte Matt entschieden. »Wir gehen daran entlang bis zur nächsten Stadt. Wir können so nicht weitermachen, ohne Verpflegung und alles, wir müssen unsere Vorräte aufstocken.«
    Tobias nickte eifrig. Ambre musterte Matt. Alle drei wussten, dass sich in den Städten inzwischen gefährliche Wesen herumtrieben; andererseits gab es dort noch Reste von Warenbeständen, in denen sie viel Brauchbares finden konnten.
    »Gehen wir nach Westen oder nach Osten?«, fragte Tobias.
    »Nach Osten. Ich sehe einen großen Fleck, das ist vielleicht eine Ruine.«
    Matt schnallte seinen Schwertgurt fest und stieg als Erster den Abhang hinunter.
    Während sie in einigem Abstand an der Stromleitung entlanggingen, ließen sie die Würmer nicht aus den Augen, um beim kleinsten Zucken wegrennen zu können.
    Ein steifer Wind pfiff ihnen um die Ohren und schickte Wellen durch das hohe Gras. Tobias griff nach seinem Bogen, den er neben die Taschen und Schlafsäcke auf Pluschs Rücken gebunden hatte, und spannte einen Pfeil ein.
    »Ambre, machst du mit?«, flüsterte er.
    Ambre, die mit vor Müdigkeit leerem Blick vor sich hinmarschiert war, musterte ihn kurz und sah sich dann aufmerksam um.
    Ein Reh hatte sich aus dem Wald gewagt und streifte über die Wiese. Es war weniger als fünfzig Meter entfernt.
    »Warte noch«, warnte sie, »auf diese Entfernung kann ich deinen Pfeil nicht lenken.«
    »Ich weiß. Matt, bleib du hier bei Plusch. Wir versuchen, uns vorsichtig anzupirschen.«
    Matt bedeutete der Hündin mit einem Wink, stehen zu bleiben.
    Noch vor sieben Monaten hätte ihn die Vorstellung, ein Reh zu töten, ganz krank gemacht. Aber sein Leben als Großstadtkind war vorbei. Wenn sie überleben wollten, mussten sie es tun. Und da es keine Ställe und Käfige mehr gab, in denen die Tiere nur gemästet wurden, um eines Tages in die Schlachthöfe der Fleischindustrie gefahren zu werden, fand er den Gedanken auch nicht mehr so schlimm. Sie jagten nur so viel, wie sie brauchten; damit begnügten sie sich.
    Tobias und Ambre waren nur noch etwa dreißig Meter von dem Reh entfernt, als der Wind drehte und das Tier die beiden Jäger witterte. Es hob den Kopf und sprang davon, während Tobias hastig den Bogen spannte und schoss.
    Ambre drückte die Fingerspitzen gegen ihre Schläfen und konzentrierte sich.
    Tobias hatte schlecht gezielt, doch plötzlich beschrieb der Pfeil einen Bogen, als würde er von einer Böe erfasst, und flog mit der Präzision einer lasergesteuerten Rakete auf die Flanke des fliehenden Tiers zu. Das Reh konnte so viele Haken schlagen, wie es wollte – gleich würde es tödlich getroffen werden.
    Da verlor das Geschoss an Geschwindigkeit und verschwand im hohen Gras.
    »Oh nein!«, seufzte Ambre. »Ich schaffe es einfach nicht, die Konzentration so lange zu halten.«
    Das Reh war schon zu weit weg.
    Matt gesellte sich zu seinen Freunden und gab ihnen einen Klaps auf die Schulter.
    »Halb so wild. Übung macht den Meister, oder? Bald haben wir unsere Alteration noch besser im Griff.«
    »Nicht da lang!«, schrie Tobias.
    Das Reh steuerte auf die Strommasten zu. Als es unter den Kabeln durchlief, ließ sich einer der Würmer fallen, und Dutzende andere folgten seinem Beispiel. Von einer Sekunde auf die andere war das arme Tier von schwammartigen schwarzen Körpern bedeckt, die sich mit Widerhaken in seinen Leib bohrten und anfingen zu saugen. Es knickte ein und verschwand unter der wimmelnden Masse.
    »Ich habe genug gesehen«, sagte Ambre und marschierte wieder los.
    Die anderen folgten ihr schweigend, und schon bald liefen sie wie in Trance dahin, geplagt von Hunger und Erschöpfung.
    Nach einer Weile rissen die Sonnenstrahlen Löcher in die graue Wolkenschicht, die sich im Laufe des Nachmittags endgültig auflöste.
    Die Bäume standen nun weniger dicht und bildeten kleine Wäldchen und Haine. Der Blinde Wald türmte sich immer mächtiger vor ihnen auf. Da schöpfte Matt plötzlich wieder Hoffnung: Vor ihnen erhoben sich drei rundliche, von einem Gewirr aus Ästen und Lianen bedeckte Gebilde. Das konnten Gebäude sein! Wie auf Kommando
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher