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Altenberger Requiem

Altenberger Requiem

Titel: Altenberger Requiem
Autoren: Oliver Buslau
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weiter den Hang hinauf, ging ein paar Schritte, sah mich wieder um. Etwas oberhalb lag so etwas wie eine kleine Lichtung.
    Ich kämpfte mich zu der freien Stelle durch. Mit etwas gutem Willen war dort ein Steinkreuz zu erkennen - genauso graubraun wie die Umgebung und daher gut getarnt.
    Ich arbeitete mich weiter und stand nun vor dem Kreuz. Es trug eine Inschrift:
    HILDEGARD MARIA KLINGENBURG
    18. MÄRZ 1925 - 15. APRIL 1945
    Anderen Schmuck als das Kreuz gab es nicht. Keine Einfassung, keine Blumen. Nur ein paar Natursteinplatten.
    »Sagen Sie mal, wonach genau suchen Sie eigentlich, Herr Rott?«, fragte Georgi.
    Ich erklärte es ihm.
    »Ist ja unglaublich! Und Sie sind sicher, dass die Leiche in dem Grab versteckt wurde?«
    »Nein. Mein einziges Indiz ist der Ohrring, den Sie gefunden haben. Er gehörte der Toten. Zumindest glaube ich, dass sie tot ist. Jedenfalls ist sie verschwunden.« Aber ob sie wirklich tot war? Wer sagte denn, dass sie nicht unbehelligt irgendwo in Südamerika, in Frankreich oder Polen lebte? Oder von mir aus in Österreich?
    Alles Schwachsinn. Ich saß hier im Wald und suchte einen Ort, an dem eine Tote vor Jahrzehnten versteckt worden war - aber vielleicht war sie gar nicht tot. Und wenn - wie sollte man so ein Versteck finden?
    Ich war völlig fertig.
    Am liebsten hätte ich mich auf das Kreuz gesetzt, doch das kam mir pietätlos vor. Ich fand etwas abseits des Grabes einen Baumstumpf.
    »Wenn man da oben eine Leiche verschwinden lassen will, gibt es eine viel bessere Möglichkeit«, sagte Georgi. »Man nutzt einen von den Schächten.«
    »Schächte? Was für Schächte?« Mit einem Mal spürte ich neue Energie.
    »Es gibt alte Schächte aus dem Tagebau. Dort wurde früher mal Erz abgebaut…«
    »Wo ist das?«, unterbrach ich ihn. »Hier in der Nähe?«
    »Stehen Sie gerade an dem Grab?«
    »Ja.«
    »Sie müssen wieder hinunter, Richtung Bach. Und dann ein Stück weiter …«
    »In welche Richtung?«, rief ich, während ich bereits den Hang hinunterrutschte.
    »Zum Taleingang. Nicht zur Knochenmühle, sondern entgegengesetzt.«
    Wieder musste ich an dem Haufen alter Äste vorbei.
    »Haben Sie die Stelle gefunden?«
    »Nein, noch nicht.«
    »Sie müssen ganz nach unten. Der Eingang des Schachtes liegt gleich am Bach.«
    Endlich hatte ich mich an vereinzelten Baumstämmen entlang nach unten gehangelt und folgte dem Lauf der Kleinen Dhünn. Ich erkannte die Stelle wieder, wo ich das Wasser überquert hatte.
    »Ich bin jetzt wieder auf Höhe des Teiches«, sagte ich. »Ist das schon zu weit?«
    »Das weiß ich leider nicht genau. Es müsste aber dort irgendwo sein.«
    Hektisch rannte ich weiter. Und plötzlich sah ich das Ziel vor mir.
    Im Hang gähnte wie ein steinernes Maul eine Öffnung. Sie war halb mit lehmiger Erde gefüllt, aber darüber war schwarze Leere. Eine Höhle.
    »Kann es sein, dass der Schacht früher noch zugänglich war? Vor dreißig Jahren?«
    »Ich denke schon. Ich habe …«
    Georgis Stimme wurde von einem Knall überdeckt. Er hallte von den Hängen wider. Irgendwo flatterten Vögel auf.
    Kurz darauf hörte ich das Geräusch eines Motors, der angelassen wird. Das typische Rattern eines Diesels.
    Der Knall war ein Schuss gewesen.
    Ein Schuss aus meiner Beretta.
    Ich drückte Georgi weg und rannte mitten durch den Fluss.
    Der silberfarbene Ford war verschwunden. Auf dem matschigen Untergrund zwischen den Reifenspuren lag eine zusammengekrümmte Gestalt: Wonne.
    Ich war wie erstarrt, und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, als krampfe sich etwas in meinem Inneren zusammen.
    Ich beugte mich zu ihr hinunter. Ihr rechter Arm war rot von Blut. Die Augen weit offen. Aber sie lebte.
    »Scheiße, tut das weh«, flüsterte sie.
    Mechanisch griff ich nach meinem Handy und setzte den Notruf ab. Meine Stimme klang seltsam ruhig, als ich sagte: »Einen Krankenwagen zur Knochenmühle in Wermelskirchen-Dhünn. Schnell bitte. Eine Schussverletzung mit hohem Blutverlust.«
    Wonne versuchte sich aufzusetzen. Ich hinderte sie daran.
    »Du musst… meinen Arm abbinden«, sagte sie stockend.
    »Weißt du, wie das geht?«, fragte ich und kam mir ziemlich dämlich vor, weil sie mir erklären musste, wie ich sie zu retten hatte. Aber vielleicht war es sogar gut, wenn wir miteinander sprachen, dann würde sie bei Bewusstsein bleiben.
    »Zieh deinen Gürtel raus.« Ich tat, was sie verlangte, und als ich den Gürtel um ihren Oberarm geschlungen hatte, sagte sie: »Die blöde Kuh hat mich
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