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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen
Autoren: Diana Evans
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dass er wieder in seinem Kinderzimmer stand und der Garten ein Stockwerk tiefer und nicht auf der gleichen Ebene lag. Der Schatten im Gras jagte wie toll seinem eigenen Schwanz nach. Das klare Hellblau des Himmels war von der Gardine verschleiert. Antoney war schreckhaft. Ständig sah er, während sie das Bett machten, zur Tür. Danach legten sie sich hin.
    »Liest du mir was vor?«, fragte Antoney.
    »Natürlich.«
    Er las ihm einige Verse von Yeats vor, dann schaltete er das Licht aus:
    Dort find ich etwas Frieden, dort tröpfelt Frieden stille,
    Tropft von des Morgens Schleiern ins Gras, da singt die Grille;
    Dort wird die Nacht ein Glitzern, der Mittag Purpurschein,
    Der Abend ein Geräusch von Hänflingsflügeln sein.
    Nun fand Riley keinen Schlaf mehr. Jedes Atmen, jede Bewegung, die vom Fußende herkam, bemerkte er, und dahinter den abklingenden Regen, einen einsam bellenden Hund, den nächtlichen Verkehr auf der Bayswater Road, das ferne Summen der Stadt. Antoney schnarchte leise. Die Luft war vom Regen feucht und schwer. Riley hatte das Gefühl, dass er sehr lange dort lag und zum Fenster sah – es war einen Spalt weit geöffnet, die Vorhänge schloss er nie. Seine Gedanken wurden allmählich bleich und gegenstandslos. Er dachte selten an Helen, nun aber stand sie ihm plötzlich vor Augen, wie damals, unter den Baumkronen des Buttermere-Walds, eine rote Jacke über den schmalen Schultern, der stets erwartungsvolle Blick, vorbei an den braunen Strähnen in ihrem Gesicht. Du bist heute so anhänglich, Edward. Er war berauscht von einem wundervollen ländlichen Frühling. So einen Frühling hatte er noch niemals erlebt, die Tümpel und Lichtungen strahlten unter dem frischen Laub, die kahlen Berge des Lake District lagen im Nebel. Als sie in ihr Hotel zurückkehrten, wurden sie von einer ebenso wundervollen Hochzeitsgesellschaft empfangen, die in den Bankettsaal einzog. Rileys Bruder hatte im Jahr zuvor geheiratet. Sag mir, warum du mich liebst. Im Knien konnte er die Berge und Lichtungen nicht sehen. Weil ich bei dir Ruhe finde , versuchte er es. Stattdessen sah er in ihre Nasenlöcher. Ach, Edward . Sie entwand sich. Du lügst doch . Als sie hinaus in den Korridor lief, kam eine warme Brise ins Zimmer. Es war viel zu warm, er trat die Laken beiseite. Jemand war bei ihm. Er hörte den Atem der anderen, spürte, dass er beobachtet wurde. Riley schlug die Augen auf. Antoney lag neben ihm, zusammengerollt wie ein Fötus.
    »Es kommt zurück. Es wird immer lauter. Riley, ich hab solche Angst.«
    Riley blieb wie gelähmt auf dem Rücken liegen, aber den Kopf wandte er Antoney zu.
    »Beschreib es mir, ganz genau.«
    »Soldaten, es sind Tausende, sie kommen von allen Seiten, in Wellen. Tausende Stiefel.«
    »Was für Stiefel?«
    »Armeestiefel, Schnürschuhe.«
    »Versuch, dir das Gegenteil vorzustellen«, sagte Riley.
    »Wie meinst du das?«
    »Das Gegenteil. Stell dir Ballettschuhe vor.«
    Antoney versuchte es, mit geschlossenen Augen. Eine Armee aus leisen, spitzentanzenden Ballerinas.
    »Hilft es?«
    »Ich glaub schon.«
    »Gut.«
    Riley sehnte sich danach, ihn in die Arme zu schließen und zu trösten, so wie seine Mutter es früher getan hatte, wenn er sich vor etwas gefürchtet hatte, aber er wagte es nicht. »Du musst dich entspannen«, sagte er. »Morgen wird es dir besser gehen. Wir machen gleich nach dem Frühstück einen Spaziergang.«
    Wieder wurde Antoneys Atem tiefer. Bevor er einschlief, die Ballerinas hatten die Soldaten verdrängt, murmelte er etwas, direkt aus dem Unterbewussten, unbelastet von Absicht und Überlegung.
    »Du bist der Einzige.«
    Riley kam der Gedanke, dass es womöglich besser wäre, wenn er aufstehen und im Wohnzimmer schlafen würde, um dem Aufruhr zu entfliehen, der in ihm tobte, aber dazu konnte er sich auch nicht überwinden. Es war so schön, das Gewicht dieses Körpers neben dem seinen zu spüren. Er hatte sich so oft gefragt, wie es sich wohl anfühlen würde, so neben ihm im Dunkeln zu liegen. Es stimmte nicht, was er zuvor gesagt hatte. Er war noch niemals mit einem Mann zusammen gewesen. Er hatte jedes Verlangen erstickt und sich davon zu überzeugen versucht, dass dies nicht war, was er wollte. Der Schatten schlich aus dem Garten, er kam langsam auf ihn zu, nun lauerte er über ihm. Je länger Riley auf dem Rücken liegen blieb, umso stärker lastete er, anklagend, auf ihm.
    Er drehte sich auf die Seite, in die gleiche Richtung wie Antoney. Seine Bewegungen waren sehr
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