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Als ploetzlich alles anders war

Als ploetzlich alles anders war

Titel: Als ploetzlich alles anders war
Autoren: Martina Dierks
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Louisas erster Schultag gewesen war. Sie hatte heute kaum an etwas anderes denken können und deshalb wieder einmal Streit mit ihrer Freundin Jette gehabt, die ihr vorgeworfen hatte, sie würde sich überhaupt nicht mehr für sie interessieren. Jette hatte sich nicht zum ersten Mal beschwert, aber bisher war das nur so ein Rummaulen gewesen, während sie heute zum ersten Mal richtig Dampf abgelassen hatte.
    Als Teri nach Hause kam, war Louisa noch nicht da.
    Sie zog Mantel und Stiefel aus, die sie zum Trocknen auf ein Tuch vor die Wohnungstür stellte. Es schneite immer noch, aber der Schnee war nicht liegen geblieben, sondern hatte sich auf den Straßen in Matsch verwandelt.
    Am kommenden Sonntag war erster Advent. In den Fenstern blinkten Lichterketten, Rentiere, Sterne, dicke, aufblasbare Schneemänner auf Balkonen. Die meisten Weihnachtsmärkte hatten bereits aufgemacht und im Wohnzimmer stand schon ein hübscher kleiner Kranz, der noch nicht geschmückt war, aber intensiven Tannenduft verströmte. Das erinnerte Teresa daran, dass sie noch kein einziges Weihnachtsgeschenk besorgt hatte. Doch in diesem Jahr war das völlig egal– Weihnachten hätte auch ausfallen können.
    Selbst als Teresa den Karton mit dem Baumschmuck entdeckte, den Mama gestern Abend aus dem Keller geholt und unter das Fenster neben den kleinen Tisch für den Christbaum geschoben hatte, kam auch keine weihnachtliche Vorfreude auf.
    Teresa hob den Kartondeckel mit dem Finger an, sah die schimmernden bunten Baumkugeln, mit kleinen Päckchen beladene Schlitten, Weihnachtsmänner, Kerzenhalter, an denen rote Wachsreste klebten, und ganz unten in einer langen, schmalen Schachtel die funkelnde Christbaumspitze, von der Louisa früher immer behauptet hatte, das wäre die Krone einer Eisprinzessin.
    Mama hatte alles aufgehoben, was Teresa und Louisa seit dem Kindergarten gebastelt hatten, obwohl manchen Goldpapierengeln schon Flügel fehlten, das einst watteweiße Haar schon etwas schmuddlig war und einige Sterne Zacken verloren hatten.
    Teresa klappte den Kartondeckel schnell zu. Sie hatte wieder einmal nicht aufgepasst und war in die Erinnerungsfalle getappt. Das machte sie immer gleich so fertig, dass sie zu gar nichts mehr Lust hatte, weil ihr in solchen Momenten alles so sinnlos erschien. Das Leben geht doch weiter, sagte ihre Freundin Jette oft. Und das stimmte ja auch, aber Teresa hatte keine richtigen Ziele mehr. Es war, als prallte sie jedes Mal, wenn sie versuchte, sich ihre Zukunft vorzustellen, gegen eine unsichtbare Wand. Es verging kein Tag, an dem ihre Gedanken nicht um ihre abscheuliche Tat kreisten. Teri fragte sich, wie lange sie das noch aushalten würde. Manchmal waren es wirklich nur Kleinigkeiten, die sie daran erinnerten.
    Das Beste war dann immer, Teri lenkte sich ab. Zum Beispiel mit Kochen wie heute, indem sie ein neues Rezept ausprobierte. Früher hatte sie jede Art von Hausarbeit nur ätzend gefunden. Aber jetzt machte sie es sogar gern, einerseits um Mama zu entlasten, die ja auch arbeiten gehen musste, weil das Geld sonst nicht gereicht hätte, und andererseits, weil es nützlich war. So hatte sie wenigstens das Gefühl, nicht völlig überflüssig zu sein. Als Louisa nach Hause kam, hatte Teresa gerade einen Auflauf in den Ofen geschoben.
    » Und wie war’s?«, fragte Teri gespannt.
    » Es war okay«,antwortete Louisa knapp.
    Aber sie erzählte ohnehin nicht mehr viel. Früher war es nur so aus Louisa herausgesprudelt, was sie tagsüber alles erlebt hatte. In der Schule, beim Eislaufen, nachmittags mit ihren Freundinnen.
    Aber ihr Lachen vermisste Teresa am meisten. Und das, obwohl es sie früher meistens eher genervt hatte. Dieses heftige, aber immer von Herzen kommende Lachen, das auch ansteckend sein konnte, je nachdem, wie Teri gerade selber gelaunt war. Louisas Lachen war wie eine Naturkatastrophe, die über einen hereinbrach, sodass man ihm völlig wehrlos ausgeliefert war. Louisa konnte so albern sein, so spontan, so übermütig. Manchmal hatte sich Teri davon mitreißen lassen, dann waren sie kichernd und kreischend durch die Wohnung getobt, bis sie erschöpft auf ihre Betten gefallen waren.
    » Hast du nachher Zeit, Teresa? Ich brauch ein paar Sachen, die ich unbedingt heute noch besorgen muss«, fragte Louisa.
    » Klar hab ich Zeit«, antwortete Teresa schnell, obwohl sie mit Jette verabredet war. Sie lauerte immer förmlich darauf, dass Louisa sie mal um etwas bat. Nicht, dass ihre Schuldgefühle dadurch
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