Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als könnt' ich fliegen

Als könnt' ich fliegen

Titel: Als könnt' ich fliegen
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
hatte sie noch nie in dermaßen unauffälligen Klamotten gesehen. Auf der Straße hätte ich sie womöglich nicht erkannt.
    Ich sah, dass auch mein Vater zweimal hinguckte. Marlies schien hoch zufrieden. Möglicherweise fasste sie es als Friedenssignal auf, dass ihre Tochter, zumindest kleidungsmäßig, auf Provokationen verzichtete. Ich dachte, dass sie Ilka vielleicht sogar darum gebeten hatte.
    Mein Vater war extrem um gute Laune bemüht. Er schleppte noch Getränke an den Tisch, als wir andern schon lange saßen und Löcher in die Luft starrten. Marlies schien trotz ihrer Zufriedenheit mit Ilka angespannt. Offenbar traute sie der Harmonie nicht.
    »Wann kommt deine Freundin?«, sagte mein Vater. Er klang richtig aufgekratzt. »Wie heißt sie gleich?« Er entkorkte eine Weinflasche mit lautem Flop.
    »Milena«, sagte ich und schaute zur Uhr. »Eigentlich müsste sie schon hier sein.«
    » Wer kommt?« Ilka konnte es nicht fassen. Marlies warf ihr sofort einen tadelnden Blick zu. Wo war ihr braves Mädchen geblieben?
    »Was dagegen?« Ich blieb so ruhig wie möglich.
    Mein Vater füllte das Glas von Marlies und seines schwungvoll mit Weißwein. Ilka musste drei- oder viermal schlucken. Sie wollte sich nicht gehen lassen.
    »Was sollte ich dagegen haben?«, sagte sie schließlich. »Wenn sie deine Freundin ist.«
    Ich befürchtete, Marlies könnte gleich platzen vor lauter Stolz auf ihre Tochter. War sie nicht großartig? Am liebsten hätte sie die Frage laut in den Raum geworfen. Um sich abzureagieren, öffnete sie eine Tüte Chips und füllte sie in eine Schüssel. Mein Vater setzte sich und schüttelte einmal kräftig den Würfelbecher.
    »Wer schreibt?«, fragte er. Keiner meldete sich, und er behielt Block und Kugelschreiber gleich bei sich. Er notierte unsere Namen.
    »Wollen wir noch warten?«, fragte er mich und schaute instinktiv zur Uhr. »Zwanzig nach.«
    Ich spürte die Spannung, mit der alle mich ansahen. Als hätte ich die Schicksalsfrage des Tages zu beantworten.
    »Wir können anfangen«, sagte ich. »Milena kann ja sofort einsteigen, wenn sie kommt.«
    Aber sie kam nicht. Jedenfalls war sie auch eine volle Stunde später noch nicht da. Die Atmosphäre wurde seltsam. Vor allem Ilka kam mir merkwürdig vor.
    »Es wird doch nichts passiert sein?« Marlies’ Frage ging an mich, aber Ilka antwortete: »Was soll denn passiert sein?« Sie klang gereizt. Mein Vater rechnete die Zahlen des Spiels zusammen.
    »So sicher scheint die Gegend ja in letzter Zeit nicht zu sein«, sagte Marlies mit nachdenklichem Blick auf mein lädiertes Gesicht. »Warum rufst du sie nicht an?«
    »Ich hab ihre Nummer nicht.« Alle sahen mich fragend an, und ich erklärte, dass mein Handy seit dem Überfall verschwunden war.
    »Warum nimmst du nicht das hier?« Marlies deutete auf den Festnetzanschluss. Sie verstand nicht.
    »Ich hab ihre Nummer im Handy gespeichert«, erklärte ich.
    »Und sonst nirgends?«, fragte Marlies. Ich schüttelte den Kopf. Das war zwar saublöd, aber nicht zu ändern.
    Mein Vater war fertig mit Rechnen.
    »Ilka hat gewonnen«, sagte er. Das war nichts Neues. Auch die Spiele davor waren nicht anders ausgegangen. Obwohl sie sich überhaupt nicht aufs Spielen konzentrierte. Genauso wenig wie wir anderen. Auch wenn Marlies und mein Vater so taten, als ob. Dann klingelte das Telefon.
    Ilka hob ab. Einen Moment lang schien es, dass sie mir den Hörer geben wollte. Fast automatisch. Aber dann behielt sie ihn doch. Sie sagte zweimal »Okay«, dann: »Richte ich aus«, und legte schließlich wieder auf. Noch ehe jemand fragen konnte, sagte sie: »Deine Freundin hat abgesagt. Es ist was dazwischengekommen.«
    Plötzlich wusste ich, was mir den ganzen Abend schon verdächtig erschienen war: Ilka legte mir gegenüber nicht die geringste Giftigkeit in ihre Worte oder Blicke. Das änderte sich nun schlagartig: »Sie wollte dich nicht sprechen«, sagte sie. »Komisch, oder?«

17
    4. September, 22 Uhr
    Der Schlüssel konnte nur bei Marco liegen. Er wusste mit Sicherheit, was es mit dieser alten Schallplatte auf sich hatte. Aber mir würde er es nicht sagen. Für ihn bin ich einfach nur eine Behinderte, der er keine Beachtung schenkt. Deshalb habe ich Lisa auf ihn angesetzt. Das hört sich einfacher an, als es war. Zunächst weigerte sie sich strikt. Solche Aktionen seien nicht ihr Stil. So ähnlich drückte sie es aus. Nein, eigentlich genau so. Ich sagte ihr, Stil hin oder her, wenn sie das nicht für mich täte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher