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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
Autoren: Judith Kerr
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während sich Mama und Max den Schweiß von der Stirn wischten, denn es war schon sehr heiß.
    »Oh, warum muß dauernd was schiefgehen?« rief Mama, und dann fügte sie hinzu: »Die Concierge muß es in Ordnung bringen. Anna lauf und bitte sie, heraufzukommen.«
    Das war keine sehr angenehme Aufgabe. Um Geld zu sparen, hatte Mama die Vereinbarung mit der Concierge, nach der diese ihr jeden Tag beim Putzen half, aufgekündigt, und jetzt war die Concierge immer sehr schlecht gelaunt. Glücklicherweise traf Anna sie vor der Wohnungstür.
    »Ich habe Post heraufgebracht«, sagte die Concierge, - es war nur eine Drucksache - »und ich komme wegen der Miete.«
    »Guten Morgen, Madame«, sagte Papa höflich wie immer, als er der Concierge im Flur begegnete, und als die Concierge Anna in Mamas Zimmer folgte, sagte Mama: »Könnten Sie wohl mal nach dem Bett sehen?«
    Die Concierge gab dem Bett einen lässigen Stoß.
    »Die Kinder werden wohl wieder Unfug damit getrieben haben«, sagte sie, und dann fügte sie hinzu: »Ich komme wegen der Miete.«
    »Die Kinder sind überhaupt nicht in die Nähe gekommen«, sagte Mama ärgerlich, »und was soll das mit der Miete? Sie ist erst morgen fällig.«
    »Nein, heute«, sagte die Concierge.
    »Aber es ist noch nicht der erste September.«
    Als Antwort deutete die Concierge schweigend auf das Datum auf einer Zeitung, die sie in der Hand hielt.
    »Oh, schon gut«, sagte Mama und rief Papa. »Es ist wegen der Miete.«
    »Ich war mir nicht klar, daß sie heute fällig ist«, sagte Papa. »Es tut mir leid, aber ich kann sie Ihnen erst morgen geben.« Bei diesen Worten nahm das Gesicht der Concierge einen ganz besonders unangenehmen Ausdruck an.
    Mama warf Papa einen besorgten Blick zu.
    »Aber ich verstehe nicht«, sagte sie schnell auf deutsch, »bist du nicht gestern bei der Pariser Zeitung gewesen?«
    »Allerdings«, sagte Papa, »aber sie haben mich gebeten, bis heute morgen zu warten.«
    Die Pariser Zeitung hatte in der letzten Zeit solche Schwierigkeiten gehabt, daß es dem Herausgeber manchmal schwerfiel, Papa auch nur für die wenigen Artikel zu bezahlen, die sie noch von ihm veröffentlichen konnten, und im Augenblick war er ihm noch das Honorar für drei Beiträge schuldig.
    »Ich weiß nicht, was Sie da miteinander reden«, fiel ihnen die Concierge unhöflich ins Wort, »aber die Miete ist heute fällig, nicht morgen.«
    Beide, Papa und Mama waren überrascht über diesen Ton.
    »Sie werden ihre Miete bekommen«, sagte Mama, der die Röte ins Gesicht stieg, »aber wollen Sie jetzt bitte dieses wacklige Möbelstück in Ordnung bringen, damit ich heute abend irgendwo schlafen kann?«
    »Das ist wohl kaum der Mühe wert«, sagte die Concierge, ohne einen Finger zu rühren. »Ich meine - Leute, die nicht mal ihre Miete rechtzeitig bezahlen können...«
    Papa sah sehr böse aus.
    »Ich verbiete Ihnen, in einem solchen Ton zu meiner Frau zu sprechen«, sagte er, aber auf die Concierge machte das keinen Eindruck.
    »Sie spielen sich auf, und es ist nichts dahinter«, sagte sie.
    Jetzt verlor Mama die Fassung.
    »Wollen Sie jetzt das Bett in Ordnung bringen«, schrie sie, »und wenn Sie es nicht können, dann gehen Sie!«
    »Ha«, sagte die Concierge, »Hitler wußte, was er tat, als er sich Leute wie Sie vom Halse schaffte.«
    »Raus!« schrie Papa und schob die Concierge auf die Wohnungstür zu.
    Als sie ging, hörte Anna sie noch sagen: »Die Regierung ist verrückt, daß sie Sie in unser Land läßt.«
    Als Anna wieder zu Mama ins Zimmer kam, stand sie regungslos da und starrte das Bett an. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck, den Anna noch nie gesehen hatte. Als sie Papa sah, schrie sie: »So können wir nicht weitermachen!« und damit versetzte sie dem Bett einen gewaltigen Tritt. Es mußte sich etwas gelöst haben, denn sofort schoß der gepolsterte Sitz nach vorn über den Rahmen und rastete mit einem Knall ein. Alle lachten darüber, nur Mama nicht, die plötzlich sehr ruhig war.
    »Es ist Donnerstag«, sagte sie mit einer unnatürlich ruhigen Stimme. »Es ist also im Kino eine Morgenvorstellung für Kinder.« Sie suchte in ihrem Portemonnaie und reichte Max etwas Geld. »Geht ihr beide hin.«
    »Bist du sicher?« fragte Max. Die Kindervorstellung kostete einen Franken pro Person, und schon seit einiger Zeit hatte Mama immer gesagt, das sei zu teuer.
    »Doch, doch«, sagte Mama. »Geht schnell, sonst kommt ihr zu spät.«
    Irgend etwas kam ihnen an der Sache unheimlich vor,
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