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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
Autoren: Judith Kerr
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unterhielt. Es handelte nicht von Napoleon selbst, sondern von seiner Mutter - wie sie ihre Kinder ohne Geld erzogen hatte und wie das Leben aller durch Napoleons Erfolge verändert worden war, und wie sie ihn schließlich noch überlebt hatte, eine alte blinde Frau, die noch lang nach seiner endgültigen Niederlage lebte. Es war das erste Drehbuch, das Papa geschrieben hatte, und daran hatte er gearbeitet, als Anna glaubte, die Sache mit der Pariser Zeitung hätte sich wieder gefunden. Da die Zeitung größere Schwierigkeiten hatte denn je, hofften sie, daß Papa statt dessen mit dem Film sein Glück machen würde - aber bis jetzt gab es noch kein Anzeichen dafür.
    Zwei französische Filmgesellschaften, denen Papa das Manuskript geschickt hatte, hatten es mit deprimierender Schnelligkeit zurückgesandt. Schließlich hatte Papa es an einen ungarischen Regisseur in England geschickt, aber daß er dort Erfolg haben würde, schien noch unwahrscheinlicher, denn es war nicht einmal sicher, ob der Ungar Deutsch lesen konnte. »Und obendrein«, dachte Anna, »warum sollten die Engländer, die Napoleons schlimmste Feinde gewesen waren, eher einen Film über ihn machen als die Franzosen?« Aber wenigstens war das Manuskript bis heute nicht zurückgekommen. Es bestand also immer noch Hoffnung.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand den Film kauft«, sagte Max, »und ich weiß nicht, was Mama und Papa tun werden, um an Geld zu kommen.«
    »Oh, irgendwas wird sich schon ergeben«, sagte Anna, aber insgeheim hatte sie doch ein bißchen Angst. Wenn sich nun nichts ergab?
    Was dann?
    Mama war reizbarer als je. Ganz geringfügige Dinge schienen sie aus der Fassung zu bringen, zum Beispiel, als Anna ihre Haarspange zerbrochen hatte.
    »Konntest du denn nicht aufpassen?« war Mama aufgebraust, und als Anna bemerkte, daß eine Haarspange doch nur dreißig Centimes kostete, hatte Mama geschrien: »Dreißig Centimes sind dreißig Centimes!« und hatte darauf bestanden, daß man versuchen sollte, die Spange zu kleben, bevor man eine neue kaufte. Einmal hatte sie ganz aus heiterem Himmel gesagt: »Wie würde es euch eigentlich gefallen, eine Zeit lang bei Omama zu wohnen?«
    Max hatte geantwortet: »Überhaupt nicht!« und sie hatten alle gelacht, aber hinterher war es ihnen gar nicht mehr so komisch vorgekommen.
    Wenn sie nachts in dem dunklen, heißen Schlafzimmer lag, grübelte Anna darüber nach, was geschehen würde, wenn Papas finanzielle Lage sich nicht besserte. Würde man sie und Max wirklich wegschicken?
    Mitte August kam ein Brief aus England. Er war von der Sekretärin des ungarischen Filmregisseurs unterschrieben. Sie schrieb, daß der ungarische Filmregisseur Papa für das Drehbuch danke, und er würde gern noch mehr von einem so ausgezeichneten Schriftsteller lesen, aber er müsse Papa darauf aufmerksam machen, daß das Interesse an Filmen über Napoleon im Augenblick sehr gering sei.
    Mama, die beim Anblick der englischen Briefmarke ganz aus der Fassung geraten war, war tief enttäuscht.
    »Er hat das Manuskript fast einen Monat und hat es nicht einmal gelesen!« rief sie. »Wenn wir nur in England wären! Dann könnten wir etwas in der Sache unternehmen.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, was«, sagte Papa.
    Aber »wenn wir nur in England wären«, war in der letzten Zeit Mamas ständiger Kriegsschrei. Es war nicht nur wegen der netten englischen Erzieherin, die sie als Kind gehabt hatte, sie hörte auch dauernd von anderen Flüchtlingen, die sich in England niedergelassen und interessante Arbeit gefunden hatten. Sie haßte die französischen Zeitungen, weil sie Papa nicht aufforderten, für sie zu schreiben, und sie haßte die französischen Filmgesellschaften, weil sie seine Filme ablehnten, und vor allen Dingen haßte sie es, immer so wenig Geld zu haben, daß sogar der Kauf kleiner notwendiger Dinge wie eine Tube Zahnpasta zu einem großen Problem wurde.
    Ungefähr zwei Wochen später nachdem der Brief aus England gekommen war, wurde es unerträglich.
    Es fing damit an, daß etwas an Mamas Bett kaputtging. Sie wollte nach dem Frühstück das Bett machen, hatte die Kissen und Bettücher schon weggepackt und wollte es wieder in ein Sofa verwandeln, als es plötzlich klemmte. Die Matratze, die gleichzeitig der Sitz war, sollte sich über den Bettkasten schieben, ließ sich aber nicht mehr bewegen. Mama rief Max zu Hilfe, und die beiden zogen, aber es war zwecklos.
    Der Sitz ragte hartnäckig ins Zimmer hinein,
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