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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war
Autoren: S Winman
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dich geliebt«, sagte ich. » Und tu’s immer noch.«
    Ich blickte auf das Foto, das er nach wie vor in der Hand hielt. Miami. Im Februar, vor fast acht Monaten. Ich hatte mir damals Sorgen gemacht, weil der Urlaub so teuer, so extravagant war. Wie dumm von mir, dachte ich jetzt.
    » Du hast immer auf mich aufgepasst, als wir klein waren«, sagte ich. » Hast mich beschützt.«
    Er stand auf und ging vor der Bank in die Hocke.
    » Hier hat man mich gefunden, richtig?«
    » Was machst du denn?«
    » Ich suche nach Blut.«
    » Ich glaube nicht, dass es viel war.«
    Er beugte sich hinunter und stützte sich auf der Bank ab.
    » Wartest du drauf, dass meine Erinnerung wieder vollständig zurückkommt?«, fragte er.
    Ich zögerte einen Moment und dachte darüber nach, wie ich darauf reagieren sollte.
    » Ja.«
    » Was, wenn nicht?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    » Warum ist das so wichtig für dich?«
    » Warum wohl? Du bist mein Bruder.«
    » Ich kann ja immer noch dein Bruder sein.«
    Nicht das Gleiche, dachte ich.
    » Du bist der einzige Mensch, der mich wirklich kennt«, sagte ich. » Das liegt daran, wie wir waren, wie wir aufgewachsen sind.«
    » Das ist natürlich ein bisschen vertrackt«, sagte er. » Kein Druck, ja?«
    Und bevor ich darauf antworten konnte, sagte er: » Ich glaube, ich habe welches gefunden«, und er beugte sich weiter hinunter zu dem Metallfuß der Bank. » Willst du’s sehen?«
    » Nein. Nicht wirklich.«
    Er stand wieder auf und setzte sich neben mich.
    » Mir ist oft nach Sex«, sagte er.
    » Tja, damit kann ich nicht dienen.«
    Er lachte.
    » Wohin bin ich denn früher gegangen?«
    » Weiß nicht. Clubs? Saunas? Was sagt denn Charlie dazu?«
    » Er hat gesagt, er nimmt mich mit.«
    » Du brauchst im Moment jemanden, der auf dich aufpasst.«
    » Ich hab mein Gedächtnis verloren– ich bin nicht schwachsinnig, verdammt.«
    » Klar.«
    Ich lag im Bett, ruhelos und übermüdet. Es war fast vier Uhr früh, als ich die Haustür hörte. Ich hätte mit ihnen ausgehen können, aber mir war nach etwas Zeit für mich. Wollte meinen Kopf klar bekommen, das bittere Durcheinander hinter meinen Worten loswerden und hatte stattdessen zu Musik gegriffen, zu Musik und Wein– beides in rauen Mengen. Nun lag ich da, todmüde, aber aufgedreht, und ein beißender Durst hatte den Rausch abgelöst, der mich zu Bett gebracht hatte.
    Ich hörte Schritte auf der Treppe, von nur einer Person. Ich wartete ab. Ein leises Klopfen an meiner Tür. Ich stand auf und öffnete sie.
    » Hey, Ell.«
    » Charlie.«
    Er torkelte herein, betrunken. Ich führte ihn zum Bett, auf das er sich fallen ließ und sich einmal herumwälzte. Er sah elend aus.
    » Wo ist er?«, fragte ich.
    » Weiß nicht. Hat sich abschleppen lassen, und ich hab ihnen das Feld überlassen.«
    » Du bist ja patschnass.«
    » Konnte kein Taxi finden.«
    Dich hat wohl eher keiner mitgenommen.
    Er versuchte, mir noch etwas über den Abend zu erzählen, über einen Stripper, aber seine Worte waren kaum zu verstehen, weil er sein Gesicht in die Einbuchtung meines noch warmen Kissens drückte. Ich zog ihm seine Klamotten aus und deckte ihn zu, und schon bald war sein Atem tief, ja fast gelöst.
    Ich machte die Fensterläden auf und schaute hinaus. Die Straße sah schmierig aus und spiegelte. Es hatte aufgehört zu regnen, und die ersten Arbeiter des Tages– Reinigungsleute und Postboten– machten sich auf den Weg. Ich zog mir einen Pulli über. Er roch nach feuchter Wolle, seit ich ihn zum ersten Mal gewaschen hatte. Joe hatte mir gesagt, ich könne ihn nicht anziehen, wenn wir irgendwohin gingen, nur zu Hause. Das war der frühere Joe.
    Ich ging leise in die Küche hinunter und machte die Tür zum Garten auf, um den Geruch von Erde und Regen einzuatmen, den Geruch, den ich mit Cornwall verband. Und plötzlich sehnte ich mich danach zurückzukehren, sehnte mich danach, in einer Landschaft zu trauern, die aus Trauer hervorgegangen und von Trauer untergraben war, wo die Hügel mit einer Geste der Hoffnungslosigkeit im Meer versanken.
    Ich hörte die Haustür, als der Kaffee gerade zu kochen begann. Er musste das Licht bemerkt haben, denn er kam direkt zur Küche und streckte den Kopf um die Ecke. Er wirkte erstaunlich nüchtern.
    » Hey«, sagte er. » Schon so früh wach oder immer noch auf?«
    » Weiß nicht so recht. Willst du Kaffee?«
    » Kaffee wäre gut«, sagte er.
    Wir packten uns warm ein und setzten uns draußen auf die alten Bistrostühle, deren
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