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Alphawolf

Titel: Alphawolf
Autoren: Sandra Henke
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den Entschluss, ihn abzulenken. Es war die einzige Möglichkeit, die Männer aus dem Gebäude zu bekommen.
    «Er kommt. Wir dürfen keine Zeit verlieren», sagte er trocken, griff einen der Schamanen und stellte ihn an die Wand links neben der Tür.
    Der Indianer wagte nicht einmal, sich zu wehren. Was hatte Dante ihnen nur angetan, um sie derart einzuschüchtern? Sie bedroht? Ihnen Papewas vorgestellt und ihnen den entstellten Körper des ehemaligen Heilers gezeigt?
    Claw ließ den Mann los, drehte sich um und legte die Handflächen aneinander. «Bitte. Sie müssen sich in der Ecke verstecken. Ich werde den Wolfsmann in den Raum locken und ihn ablenken, damit sie fliehen können.»
    «Sie wollen uns wirklich helfen.» Es war eine Feststellung, keine Frage. Der Indianer, den er bereits positioniert hatte, gab den anderen beiden ein Zeichen. «Wenn er uns hätte töten wollen, wären wir längst tot.»
    Claw nickte dankbar für seine Unterstützung. «Laufen Sie den Hügel hoch. Dort warten zwei meiner Freunde, der Schamane der Cup’ik und Papewas auf Sie. Bei Ihnen sind Sie in Sicherheit.» Das Rudel erwähnte er nicht.
    Der Schamane nahm ein Stück Holz von den anderen beiden entgegen, das am oberen Ende brannte – als Licht und als Waffe. «Ich bin Chankoowashtay vom Stamme der Athabascan und möchte Ihnen danken.»
    «Haben Sie einen Rotwolf gesehen?» Claw hörte Dantes Tatzen auf dem Holzboden. Sein Widersacher verließ das Restaurant durch die Vordertür und kam wieder ins Haus, vermutlich weil er Claws Fährte roch. Doch sein eigener Uringestank, mit dem er das gesamte Gebäude markiert hatte, schien ihn selbst zu irritieren, denn er kam nicht in den Keller gestürzt. Wahrscheinlich schnupperte er den Boden ab, um herauszufinden, wohin Claw gegangen war.
    Gedankenversunken schaute der Indianer in die Flammen seiner Fackel. «Einen Wolf? Nein.»
    «Aber er muss hier irgendwo sein.»
    «Nur einen Jungen.» Chankoowashtays Miene erhellte sich.
    «Einenᅠ...?» Claw horchte auf. «Wo ist er?»
    «Die Bestie hat ihn ins Kühlhaus gesperrt.»
    «Wartet hier. Lauft nicht ins Erdgeschoss. Der Wolfsmann steht am Hauseingang.» Der Alpha rannte aus dem Lager, lief durch den Gang und riss die isolierte Tür aus. Dort hing er, Rufus, direkt vor ihm, und bot ein jämmerliches Bild. Dante hatte ihn an Händen und Füßen gefesselt und an die Deckenhaken gehängt, an denen in der Sommersaison das Fleisch baumelte. Wahrscheinlich wollte er Rufus’ Gegenwehr ausschalten, damit er sich nicht gegen die Zeremonie sträubte, denn die eisige Kälte lähmte Geist und Körper.
    Oder er wollte ihn einfach leiden lassen, dachte Claw zornig, riss mit seinen scharfen Krallen die Stricke durch. Auf seinem Arm trug er ihn in das Trockenlager und legte ihn neben der Feuerstelle ab. Während er über seine Gliedmaßen rieb, um die Blutzirkulation anzuregen, betrachtete er den Jungen.
    Rufus trug ein braunes Holzfällerhemd und Jeans, die von einem Gürtel an seinen dünnen Hüften gehalten wurde. Beides war ihm viel zu groß, Ärmel und Hosenbeine zigmal umgekrempelt. Claw bezweifelte, dass Dante ihm die Kleidung besorgt hatte. Vielmehr glaubte er an die Fürsorge einer der Indianer, der sich in den Kleiderschränken der Restaurantpächter bedient hatte.
    Der Junge war aschfahl. Speichel tropfte aus seinem Mundwinkel. Seine Lippen waren frostblau.
    Äußerlich sah er tot aus, aber Claw spürte, wie Rufus’ Herz schneller schlug und das Blut verstärkt durch seine Adern strömte. Sein Körperduft wurde intensiver – lebendiger.
    Der Kleine öffnete träge seine Augen. Es dauerte, bis er seinen Leitwolf erkannte, nicht nur wegen seiner Orientierungslosigkeit, sondern auch weil Claw sich auf erschreckende Weise verändert hatte. Doch Rufus zeigte keine Furcht, sondern er lächelte. Dankbar. Ergeben.
    Die Zuneigung, die ihm entgegenschlug, überwältigte Claw. Er legte seine warmen Hände an die Wangen des Jungen. «Ich hätte besser auf dich aufpassen müssen. Es tut mir leid.»
    Rufus öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber der Alpha verschloss seine Lippen mit der Hand. «Doch, doch.»
    Er sah über die Schulter hinweg zu den Indianern. Dann hob er Rufus hoch, trug ihn in die Schwitzhütte und flüsterte: «Verwandle dich. Du brauchst die Kraft des Wolfes, die reiner ist, wenn du seine Gestalt annimmst.»
    Stumm nickte Rufus zustimmend. Noch während er sich entkleidete, begann die Wandlung. Seine Knochen verschoben sich und es
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