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Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Titel: Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Autoren: Karim El-Gawhary
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Spielfeldes, verteilen würde, erhält man die gleiche Bevölkerungsdichte wie in Schubra, einem Kairoer Viertel neben dem Hauptbahnhof. Und Schubra ist nicht Manhattan. Es gibt hier keine Hochhäuser.
    Kairo ist nicht nur voller Menschen, es ist auch voller Widersprüche. Die Stadt ist ein Brennglas, in dem sich alle Gegensätze und Konflikte dieser Erde bündeln. Bettelarm und stinkreich, Tradition und Moderne, Islam und Verwestlichung, Stadt und Land: In Kairo leben sie alle Tür an Tür. Auf dem Grünstreifen vor dem Internetcafé grasen die Ziegen. Auf einem Dach vergnügen sich die Einwohner an einem Swimmingpool mit Bar, während unweit davon auf einem anderen Dach in einem kärglichen Verschlag Hühner und Menschen zusammenleben.
    Es ist eine Stadt mit vielen Städten. Mit so genannten Aschwaiyat – informellen Armenvierteln, die ohne jegliche Infrastruktur-Planung illegal entstanden sind und die 40 Prozent der Stadtfläche bedecken. Dahinter befinden sich die neuen, exklusiven Compounds der Schönen und Reichen, die sich immer mehr in umzäunten, abgesicherten Vororten in der begrünten Wüste ansiedeln. Und dann ist da noch die dahinvegetierende Innenstadt, deren einstiger bourgeoiser Glanz langsam verfällt.
    Nur in der islamischen Altstadt rund um die Al-Azhar-Universität, in der sich islamische Baudenkmäler drängeln, ist die Zeit stehen geblieben, nicht aber das Leben. Es gibt wohl keinen Ort auf der Welt, in dem das Konzept vom lebenden Museum besser praktiziert wird. Sehr zum Leidwesen des Tourismusministeriums, das die Bewohner am liebsten in die Wüste schicken und eine sterile Altstadt Marke „Disney Orient“ hervorzaubern möchte, als devisenbringenden Ausstellungs- und Erlebnispark. Aber Al-Hamdulillah – Gott sei Dank –, bis jetzt ist Kairo noch immer Kairo geblieben.
    Der arabische Name Kairo, „Al-Qahira“, bedeutet „die Siegreiche“. Im überfüllten, chaotischen modernen Kairo hat dieser Ehrentitel eine neue Bedeutung gewonnen. Die Stadt, die ihre Einwohner jeden Tag besiegt. Oder besiegen vielmehr die Einwohner sich gegenseitig und die Stadt gleich mit? Das Leben in der lauten, überbevölkerten, korrupten und widersprüchlichen Stadt, in der nicht nur die Abgasglocke einem den Atem raubt, zermalmt so manche Biografie.
    Es gibt Tage, an denen auch einem Korrespondenten das Zuviel mehr als genug ist. Dann bleibt von der Hass-Liebe zu der Stadt, die alle Kairoer eint, nur noch das negative Gefühl übrig. Gedanken ans baldige Auswandern machen sich breit. Aber dann passiert immer etwas, das zum Umdenken zwingt. Etwa mein Erlebnis mit dem Kinderwagen meiner Tochter. Ich hatte ihn auf den Autodachträger gelegt, in der ägyptischen Unart, keine Zeit mit dem Festbinden zu verschwenden. Nach ein paar Kilometern auf der Nilstraße begannen mich Autofahrer anzuhupen, einer schnitt mir gar mit quietschenden Reifen den Weg ab. Den gleichzeitig aus allen offenen Autofenstern tönenden Rufen war schließlich zu entnehmen, dass der Kinderwagen irgendwo da hinten auf der Uferstraße liege. Doch da bremste bereits ein Taxi ab und der breit grinsende Fahrer hievte das verlorene Gerät aus seinem Kofferraum.
    Auf die Frage, wie ich mich revanchieren könne, nickte er, beugte sich ins Auto und gab dem schlafenden Baby einen Kuss. „Mein Tag ist gerettet“, verkündete er unter dem Lachen der anderen Autofahrer, deren Fahrzeuge inzwischen die gesamte Hauptstraße blockierten. Da wusste ich: Kairo hat mich doch wieder.
    Es sind dieser Humor, diese Gelassenheit und ihre großmütige Hilfsbereitschaft, die die Kairoer trotz aller Widrigkeiten des Lebens in der arabischen Megastadt bewahrt haben. Das wird auf den folgenden Seiten deutlich. Sei es mein Nachbar mit den Hühnern auf dem Dach, seien es die Anstreicher eines staatlichen Kaufhauses, die betenden und witzelnden Mitfahrer bei einer eher beängstigenden Aufzugfahrt, Umm Buqqu oder die „Mutter der scharfen Zunge“ mit ihrer Kairoer Beleidigungsagentur – sie alle machen Kairo zum permanenten Festival, dem man verfällt wie einer Sucht, von deren Zuviel man nicht genug kriegen kann.
    Wenn der Hahn kräht, ehe der Muezzin ruft
    (Kairo, den 22. Mai 2005)
    Davon konnten schon die Pharaonen ein Lied singen: Die Landflüchtigen bringen ihre Dorfkultur in die Stadt. Daran hat sich bis heute nichts geändert, wie man am Fall meiner neuen Nachbarn sehen kann. Nachdem voriges Jahr in der Baulücke nebenan ein dreistöckiges Gebäude errichtet
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