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Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Titel: Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Autoren: Karim El-Gawhary
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worden war, zog eine Familie ein. Nach wenigen Tagen tauchte ein halbes Dutzend Hühner auf dem Dach auf. Es folgten zwei Paar Enten, verstärkt von fünf schnatternden Gänsen. Von meinem Küchenfenster aus beäugen wir uns seitdem misstrauisch, das Federvieh und ich.
    Morgens weckt mich nicht mehr der übersteuerte Gebetsruf der nahen Moschee, sondern der hysterische Hahn von nebenan. Wenn dann im Laufe des Tages die Kairoer Sonne Dach und Geflügelkot aufheizt, weht eine recht ländlich anmutende Brise herüber.
    Man stelle sich vor, in Berlin oder Wien zieht plötzlich ein kleiner Bauernhof auf den Balkon des Nachbarhauses. Gesetzgebung, Gesundheitsamt und Lärmschutzverordnung stellen dem alteingesessenen Städter mannigfache Handhabe gegen den dörflichen Eindringling zur Verfügung. Notfalls droht man mit dem Tierschutzverein. Nicht so in Kairo, wo die Behörden wahrlich andere Probleme zu bewältigen haben als ein paar gackernde Hühner auf dem Dach, zumal in den Armenvierteln der Stadt die ländlichen Neuankömmlinge wie selbstverständlich ihr Vieh halten.
    Was bleibt, ist ein freundliches Gespräch mit dem neuen Nachbarn Hagg Mustafa. Wenn er das Federvieh verkaufe, könne er einen ähnlichen Dachgarten wie ich anlegen, mit duftendem Jasmin zur Freude aller Anwohner, so mein augenzwinkernder Ratschlag. Hagg Mustafa winkt lachend ab. Bei meiner Nachbarin handle es sich um seine Zweitfrau mit seinen Kindern, erklärt er mir stolz. Die Gute komme nun einmal vom Land und wünsche sich nichts mehr, als morgens weiterhin ihre eigenen Eier in die Pfanne zu hauen und gelegentlich ihr eigenes Huhn zu rupfen. Er könne seiner jüngeren Zweitfrau einfach keinen Wunsch abschlagen. Und schließlich dürfe jeder in seinem Haus machen, was er wolle. Ende des Palavers.
    Also finde ich mich mit meinem Schicksal ab. Es hat schließlich auch etwas Idyllisches, wenn die Nachbarskinder jeden Morgen vergnügt die Eier einsammeln. Und siehe da: Ein paar Hühner kommen selten allein. Vergangene Woche brach vor dem Nachbarhaus ein Tumult aus. Ein paar Männer versuchten verzweifelt, eine störrische Kuh von ihrem Kleinlaster zu laden. Mit allen Tricks wurde das Rindvieh schließlich in die untere Etage getrieben. Wenn nun gelegentlich aus dem benachbarten Kellergewölbe ein lang gedehntes Muhen zu vernehmen ist, lehne ich mich resigniert, aber auch ein wenig zufrieden, zurück. Die frische Milch ist sicherlich viel gesünder als die im Supermarkt und wird dafür sorgen, dass mir meine Nachbarn lange erhalten bleiben.
    Die „müde“ Seite des Warenerwerbs
    (Kairo, den 1. August 1999)
    Jeder Ägyptenbesucher kennt sie: die Bazarhändler, die jeden Kunden wort- und gestenreich umwerben. „Hallo Mister, Monsieur, Señor … kommen Sie hierher, riechen Sie, schmecken Sie, probieren Sie – kaufen Sie. Ich bin Mister Billig.“
    In welcher Sprache sie ihr Opfer ansprechen, erkennen erfahrene Bazaris meist schon am Schuhwerk der schlendernden Kunden. „Die Deutschen erkenne ich immer an ihren hässlichen, bequemen Schuhen und außerdem sind sie das einzige Volk der Welt, das Socken in Sandalen trägt“, verriet mir einmal einer der Bazarschlepper im Vertrauen. Beobachtungsgabe und psychologische Kenntnisse haben die Verkäufer im Blut. Nach ein bisschen Anpreisen und Feilschen ist man handelseinig. Am Ende sind beide Seiten zufrieden, der Käufer, weil er meint, ein Schnäppchen gemacht zu haben, und der Bazari in dem siegreichen Gefühl, den anderen übers Ohr gehauen zu haben. Alle sind glücklich – arabische Einkaufskultur pur. Das ist aber beileibe nicht alles, was Kairos Shoppingszene zu bieten hat. Es gibt noch eine andere Seite des Warenerwerbs, jene gigantischen staatlichen Kaufhäuser in der modernen Innenstadt. Ihre wohlklingenden Namen wie Omar Effendi, Cicurel oder Sednawy stammen noch aus den 20er Jahren, als hier die Kairoer Oberschicht an den mit der neuesten Mode aus Europa bestückten Kleiderständern entlangflanierte. Damals konnten die Grand Magasins durchaus mit den Einkaufsparadiesen von London, New York oder Paris konkurrieren.
    Damit war es nach der Revolution der freien Offiziere vorbei. Nach dem Suezkanal und den Banken wurden 1961 auch die Kaufhäuser verstaatlicht. Von da an ging es steil bergab. Heute haben die Haute-Couture-Etablissements von einst den Charme verstaubter sozialistischer Warenmagazine, die sich zu einer Art Via Dolorosa, einem „Weg der Schmerzen“ für die Kundschaft, verwandelt
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