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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Autoren: Franka Potente
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würde er zu ihnen fahren. Am nächsten Wochenende. Vielleicht ein paar Tage bleiben.
    Peters raues Lachen, wenn er ihm zuprostete. Die herzlichen Umarmungen. »Tim, mein Guter!« Das ernste Gesicht, wenn er nickte und konzentriert zuhörte.
    »Entschuldigen Sie, Sir?«
    Die alte Frau blickte zu ihm auf.
    »Können Sie mir bitte …« Ihre fleckige Hand wies auf die oberste Regalreihe. »Tomatensuppe.«
    Verwirrt kam er ins Hier und Jetzt zurück, reichte ihr die Dose.
    Sie schüttelte den Kopf. »Campbells bitte. Ist 50 Cents billiger.« Sie starrte ihn an. Gleich würde sie fragen.
    »Wie groß sind Sie?«
    »Zwei Meter zehn.« Wie oft er diese Frage beantwortet hatte.
    Lächeln. Überall Linien, die mitlachten.
    »Mein Sohn ist zwei Meter zwölf.«
    Überrascht lachte er zurück. Diese Antwort war neu.
    Er lud die Waren auf das kleine Fließband. Lauter Flecken auf schwarzem Plastik. Etwas musste kurz zuvor ausgelaufen sein.
    Die Mexikanerin an der Kasse war stark geschminkt. »Mirtha. I am happy to help«, stand auf ihrem goldenen Namensschild. Ihre Plastiknägel griffen wie die spitze Metallkralle eines Krans gekonnt zu.
    »Wie geht’s?«
    Sie sah nicht auf. Mechanisch scannte sie Dosen, Packungen, Flaschen. Ihr Lidschatten metallicblau.
    »Gut.«
    Er hatte die kleinen Pflichtunterhaltungen des Alltags vergessen. Er lud Pizza, Sixpacks und Kartoffelchips aufs Band.
    Da sah er sie. Nur einen kurzen Moment. Unvorbereitet.
    Liz.
    Jeans, loses Haar. Sie sah gut aus. Eilig verließ sie mit zwei Beuteln den Supermarkt.
    Sein Magen krampfte sich zusammen. Der Mund öffnete sich, er wollte ihren Namen rufen.
    Dann schlossen sich die automatischen Glastüren hinter ihr.
    »Kreditkarte oder cash?«
    Mirtha. Sie klang vorwurfsvoll. Hatte zum wiederholten Mal gefragt. Überfordert kramte er nach der Plastikkarte. Einige Dollarnoten fielen zu Boden.
    »Karte.«
    Er packte zusammen.
    Mit drei großen Tüten stand er vor der automatischen Tür. Sie öffnete und schloss sich wieder. Auf. Zu.
    »Sir? Treten Sie bitte zurück.« Der Guard in schwarzer Uniform berührte fast seinen Arm. Wieder öffnete und schloss sich die Tür.
    Mechanisch trat er zurück. Konnte nicht hinausgehen. Sie war noch dort draußen. Belud wahrscheinlich noch den Wagen. Telefonierte vielleicht. Es gäbe nichts zu sagen, wenn er sie sehen würde.
    Ihm wurde heiß. Tränen sammelten sich hinter der Sonnenbrille.
    Verdammt, er hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass sie ihm schon entglitten war. Seine Frau hatte ihn nicht einmal bemerkt. Das offene Haar. Sie hatte anders ausgesehen. In den wenigen Tagen schon hatte sich alles geändert. Etwas in ihm zerbrach. Es war vorbei.
    Er begann zu weinen. Hatte sich nicht unter Kontrolle. Groß blockierte er den Ausgang.
    Andere Kunden drängten an ihm vorbei. »Sorry!« Einkaufstaschen streiften seinen Arm. Man starrte ihn an.
    »Sir? Alles in Ordnung?« Wieder der Guard.
    Sein Körper begann zu zittern. Die Tränen rannen jetzt an den Brillengläsern vorbei. Eine der schweren Tüten rutschte ihm aus der Hand. Etwas zerbarst beim Aufprall auf dem Boden.
    Jemand nahm ihm die beiden anderen Taschen ab. Die Mexikanerin mit den Plastikkrallen war hinter der Kasse hervorgekommen. Sie hatte gleich gespürt, dass mit dem Großen etwas nicht stimmte. Schluchzend stand er jetzt da, die langen Arme kraftlos neben sich.
    Sanft griff Mirtha ihn am Arm. Er ließ es geschehen, ließ sich zu einem Plastikstuhl führen. Neben den Guard, der sein Pausensandwich aß.
    Sie reichte ihm einen Plastikbecher mit Wasser. Ob man einen Krankenwagen rufen solle? Die Polizei?
    Mirtha rieb ihm den Rücken. Er beruhigte sich allmählich.
    Sie hielt seine Kappe und die Sonnenbrille, als er sich durchs Gesicht fuhr.
    Er spürte die Plastiknägel auf seinem Rücken. Langsam strich die Hand seine Wirbelsäule entlang. Liebevoll. Die Geste machte ihn noch schwächer. Mein Gott. Was passierte mit ihm. Er rieb sich noch einmal das Gesicht.
    Atmen. Er versuchte, ruhig zu atmen. Kam wieder zu sich. Das Wasser tat gut. Er wollte nach Hause. Auf die Couch. Die Tür hinter sich zumachen, Vorhänge schließen.
    Schließlich setzte er Kappe und Brille wieder auf. »Danke, es geht schon.«
    Dann nahm er seine drei Tüten und trat endlich ins Licht hinaus. Als sich die Schiebetüren hinter ihm schlossen, spürte er den sanften Wind. Ein Meer von Autos vor ihm. Frauen mit Kindern. Einkaufswagen schoben sich ungeduldig vorbei. Jemand hupte. Irgendwo ein
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