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Alles kam ganz anders

Alles kam ganz anders

Titel: Alles kam ganz anders
Autoren: Berte Bratt
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,Grand-mère’?“
    „Eigentlich bedeutet es Großmutter.“
    „Warum sagen wir dann Grand-mère? Sie ist doch unsere Uroma!“
    „Ja, das stimmt, aber weißt du, Grand-mère ist so eine Art Kosename geworden. Die ganze Familie und alle Freunde, jung und alt, nennen sie ja so.“
    „Wie heißt dann Uroma auf französisch?“
    „Oh, ganz was Langes und sehr unpraktisch. Es heißt ,arrière-grand-mère’.“
    Marcus nahm es zur Kenntnis. Dann kam die nächste Frage: „Wie heißt ,willkommen’ auf französisch?“
    „Bienvenue.“
    Marcus’ Lippen bewegten sich. Anscheinend wiederholte er im stillen das Wort.
    Er ging zur Tür, dann drehte er sich um.
    „Wie heißt denn ‚liebe’?“
    „Das heißt ,chère’. Willst du mit Grand-mère Französisch sprechen?“
    Mein Bruder antwortete nicht. Er murmelte etwas vor sich hin, und dann verschwand er in seinem Zimmer.
    Das ganze Haus war blitzblank, vor allem die Küche und das Fremdenzimmer. Das Bett war mit der feinsten Leinen-Bettwäsche bezogen, auf dem Nachttisch standen Blumen, auf dem größeren Tisch Obst, Tellerchen, Obstmesser und Papierserviette. Die frischgewaschenen Gardinen wehten sanft im Sommerwind vor dem offenen Fenster, und der ganze Raum duftete förmlich von Sauberkeit!
    Im Wohnzimmer war der Kaffeetisch mit dem besten Porzellan gedeckt, und im Kühlschrank stand eine von Mama in stundenlanger Arbeit hergestellte Prachttorte bereit.
    Papa hatte seinen Wagen auf Hochglanz poliert – wir konnten also losfahren. Es war eine Selbstverständlichkeit, daß die ganze Familie am Flughafen sein wollte! Mama hatte aus den schönsten Blumen des Gartens ein reizendes Biedermeiersträußchen gemacht – Blumen in Spitzenhöschen, wie Papa es respektlos nennt – das sollte Marcus überreichen.
    Die Tiere waren versorgt und konnten großartig für ein paar Stunden ohne uns auskommen. „Bisken hat ja Anton“, erklärte Papa. „Wie du weißt, ist es für einen Hund das Furchtbarste auf der Welt, allein zu sein, und wenn wir Anton nicht gehabt hätten, hätte Bisken mit nach Hannover kommen müssen.“
    Aber Anton war da, der Garten war eingezäunt, und in der von Papa persönlich gebauten Hundehütte hatten die beiden Schutz, falls es anfangen sollte zu regnen. Futter und Trinkwasser waren hingestellt, also konnten wir fahren.
    „Da ist sie!“
    Mama winkte mit beiden Händen, Papa lief so dicht wie möglich an die Sperre, damit er Grand-mère sofort Koffer und Reisetasche abnehmen konnte. War das eine Freude! Es wurde umarmt, Küßchen wurden gegeben, Blumen überreicht – und meine Urgroßmutter sah blendend aus, kein Mensch würde denken, daß sie schon über achtzig war. Sie sah aus wie eine sehr gut erhaltene Siebzigjährige, und hätte sie behauptet, sie sei fünfundsechzig, hätte man es ohne weiteres geglaubt! Grand-mère war keine Spur müde! Der Flug sei so schön gewesen, und die Stewardessen ganz reizend. O ja, alles war glatt verlaufen – „aber der Flughafen Frankfurt ist ja zum Verrücktwerden“, lächelte Grand-mère. „Es ist ein wahres Wunder, daß ich nicht in eine Maschine nach Tokio einstieg! Da war aber so eine nette Flughafenangestellte, die Französisch sprach, sie hat mir geholfen. Und im Flugzeug hierher bekamen wir ein wirklich anständiges Essen!“
    „Wenn du das sagst, Grand-mère, dann ist es das allerhöchste Lob!“ schmunzelte Papa. „Was gab es denn?“
    „Oh, ein recht gutes Hors d’oeuvre, Krabben und geraspelte Sellerie in Mayonnaise, und dann Roastbeef – aber wie die Deutschen essen!
    Habt ihr denn in diesem Land keine Ahnung? Denk dir, da saß doch ein Mann neben mir und aß das Hauptgericht vor der Vorspeise! Dem hätte ich gern einen Vortrag über Eßkultur gehalten! Nur der Umstand, daß er anscheinend kein Französisch verstand, hat ihn davor gerettet! Ach ja, und dann gab es Karamelcreme als Nachtisch, nicht schlecht, aber…“
    „Aber nicht so gut wie deine Karamelcreme, das wolltest du doch sagen. Grand-mère?“ neckte Mama.
    Dieses Gespräch fand im Auto statt, während der Fahrt. Der einzige, der ganz gegen seine Gewohnheit schweigsam blieb, war Marcus. Das lag wohl zum Teil daran, daß er sehr wenig Französisch verstand, aber es lag auch an etwas anderem. Ich kenne mein Bruderherz, und jetzt sah ich ihm an, daß er irgendein ,Geheimnis’ hatte – etwas, das ihn ganz erfüllte, etwas, worauf er sich freute.
    Dann waren wir zu Hause, und Grand-mère brach in Begeisterungsrufe aus. Ein so
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