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Alles bleibt anders (German Edition)

Alles bleibt anders (German Edition)

Titel: Alles bleibt anders (German Edition)
Autoren: Siegfried Langer
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gewesen – sturzbetrunken.«
»Ja, er hat mir davon erzählt. Deswegen war ich heute dort.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass ihm das im Gedächtnis geblieben ist. Wären wir nicht am Friedhof gewesen, ich hätte ihm ordentlich die Leviten gelesen.«
Dann wurde sie etwas versöhnlicher.
»War natürlich ein schwerer Schlag damals, für ihn und seine Frau, als sich ihre Tochter mit siebzehn das Leben nahm. Kein Abschiedsbrief. Nichts. Danach fing er zu Trinken an, ist über Tage gar nicht aus seinem Rauschzustand rausgekommen. Seine Frau hat das wohl irgendwann nicht mehr ertragen und ist ausgezogen. Aber das ist alles passiert, nachdem wir schon aus der Großbeerenstraße weg waren. Ich weiß es nur vom Hörensagen.«
Sie überlegte.
»Du warst am Friedhof, davor warst du in der Großbeerenstraße. An was kannst du dich davor erinnern?«
»Ich bin in der Stadt umher geirrt.«
»Und davor?«
»Ich war an einem Bahnhof!«
Luise erbleichte und Frank bestätigte: »Ich war am Görlitzer Bahnhof!«
Für einen Augenblick erschien seine Mutter wie erstarrt, dann ging ein Zittern durch ihren Körper. Schnell setzte sie die Teetasse in ihrer Hand auf die Untertasse, bevor ihre Finger nicht mehr die Kraft hatten, sie festzuhalten.
»Was ist los, Mutter? Was sagt dir das?«
Er griff nach ihrer Hand, um sie zu halten.
Als ob er ihr die Last einer Antwort abnehmen könnte, sah sie Hilfe suchend zu dem Mann auf dem Hochzeitsfoto, dann zurück zu Frank.
»Sie haben dich damals dort gefunden, deinen Leichnam; das, was davon übrig geblieben war.«
Nachdem etwas Zeit und der Nachhall der Worte vergangen waren, brach Frank das Schweigen. »Erzähl es mir, Mutter, bitte!«
»Es war spät abends, etwa gegen zehn Uhr, dein Vater saß hier im Sessel, in dem ich jetzt sitze. Ich sehe ihn noch deutlich vor mir. Er hatte sich zurück gelehnt und las in einem Buch, einem Buch über Marco Polo. Auf deinem Platz hatte ich gesessen, ich strickte. Eigentlich nur aus Langeweile. Ich hätte mich viel lieber mit deinem Vater unterhalten. Aber man hat ihn ja nur schwer von seinen Büchern wegbekommen.
Es klopfte an der Wohnungstür. So spät bekamen wir äußerst selten Besuch. Auch war es nicht deine Art, um diese Uhrzeit noch bei uns vorbeizuschauen. Außerdem warst du an diesem Abend, wie meist, zum Essen da gewesen. Ernst stand auf und ging zur Tür. Neugierig bin ich hinterher, blieb aber in einem Abstand stehen, sodass man mich von der Tür aus nicht sehen konnte. Dein Vater öffnete und gleich darauf hörte ich eine Stimme, die ihn fragte, ob er Herr Miller sei. Nachdem Ernst bestätigt hatte, fragte die gleiche Stimme: 'Der Vater von Herrn Frank Miller?' Dazu nannte die Stimme noch deine Adresse in der Jüterboger Straße, um eine Verwechslung auszuschließen. Dein Vater bestätigte wieder. Die Worte, die dann folgten, haben sich mir ins Gedächtnis eingegraben. Sie tauchen immer wieder auf, wenn ich am Grab stehe, wenn ich in der Küche arbeite, wenn ich bete, selbst nachts in meinen Träumen. Sie waren das Todesurteil für deinen Vater.
'Wir haben leider die traurige Pflicht, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Sohn einen Unfall hatte.'
Wir spürten wohl beide, dass die Stimme noch 'Er ist tot!' ergänzen wollte. Da ging Ernst auch schon in die Knie. Ich sprang auf ihn zu, um ihn zu stützen. Von vorne kam der Sprecher – den ich nun als einen Gendarmen erkannte – um es mir gleich zu tun. Gemeinsam mit einem weiteren Uniformierten führten wir deinen Vater hierher in die Stube und halfen ihm zurück in seinen Sessel. Ich bot den beiden Gendarmen Platz an und sie setzten sich.
Ernst stierte nur geradeaus, der Beamte wandte sich nun an mich, stellte sich und seinen Kollegen vor und fuhr fort: 'Wir können einem von Ihnen beiden leider nicht ersparen, sich den Toten noch einmal anzusehen. Es ist nur eine Formsache. An seiner Identität gibt es so gut wie keinen Zweifel. Dennoch, wenn Sie bestätigen könnten, dass es sich um Ihren Sohn handelt, wäre das für uns äußerst hilfreich.'
Ich nickte.
'Eigentlich hatten wir gehofft, Sie gleich mitnehmen zu können.' Dann blickte er auf deinen Vater. 'Aber ich denke, dass das auch bis morgen Zeit hat. Wir schicken Ihnen gegen neun Uhr jemanden vorbei, der Sie abholt. Ist das in Ordnung für Sie?'
Mehr als ein 'Ja' brachte ich nicht heraus. Die Gendarmen verschwanden und ich kümmerte mich um deinen Vater. Es war sehr mühevoll für mich, ihn auszukleiden und zu Bette zu bringen. Er war völlig
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