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Alles auf Anfang Marie - Roman

Alles auf Anfang Marie - Roman

Titel: Alles auf Anfang Marie - Roman
Autoren: Ursula Schroeder
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in einer ungemütlichen Kirchenbank wie die Hühner auf der Stange: Christoph, Henning, ich, Kevin, Maik und schließlich Hannes als Außenposten am Gang.
    »Ich hab mehr Schultüten und mehr Männer bei mir als alle anderen«, fasste Kevin zufrieden zusammen. Aber auch sonst waren wir eine beachtenswerte Gruppe. Ich ließ meine Blicke über alle diese Männer schweifen. Zu allen, Christoph vielleicht mal ausgenommen, hatte ich augenblicklich eine eher problematische Beziehung: Vor Maik hatte ich Angst (obwohl er heute nicht so furchterregend zu sein schien wie sonst), mit Henning hatte ich Probleme, und was für eine Art von Beziehung ich zu Hannes hatte, konnte ich gar nicht definieren. Einerseits mochte ich ihn, andererseits war er mir aber auch sehr fremd, und diese unklaren Signale, die er manchmal aussendete, machten es nicht einfacher.
    Aber sie alle waren für Kevin gekommen. Und für mich, wurde mir klar, Maik wiederum ausgenommen. Und das machte diesen Tag schon ziemlich besonders.
    Der Gottesdienst war auch besonders, wie ich gleichfeststellen konnte. Wir sind keine regelmäßigen Kirchgänger, und die Gelegenheiten, zu denen man dann eine solche Veranstaltung besucht, haben meistens einen anderen Charakter: Hochzeiten, Taufen, ab und zu auch eine Silber- oder Goldhochzeit. Da werden Bachchoräle gesungen und Klassiker gespielt, und der Pastor wählt einen wohlklingenden Bibelvers als Thema seiner Predigt.
    Nicht so hier. Schon als die Orgel das Lied »Halli, hallo, herzlich willkommen« anstimmte, das wir auch per Beamer als Text zum Mitsingen projiziert bekamen und zum Klatschen aufgefordert wurden, ahnte ich, dass es dieses Mal etwas anders ablaufen würde. Dann führte eine Kindergartengruppe einen Tanz auf, wobei die Kinder als Raupen und Schmetterlinge verkleidet waren. Einen Zusammenhang mit der Einschulung begriff ich nicht so ganz, aber vielleicht gab es da auch keinen, sondern die Kindergartenkinder nutzten einfach eine zur Verfügung stehende Konserve.
    Dann erstieg der Pastor die Kanzel. »Liebe Kinder!«, verkündete er. »Heute geht es nur um euch.«
    Das fand ich angemessen. Die ganze Kirche war voll mit Grundschülern, deren Spannung man geradezu knistern hören konnte. Hunderte von Angehörigen hatten sich auf den Weg gemacht, um diesem Ereignis beizuwohnen, und einige Branchen erwirtschafteten an diesem Tag durch Schultüten, Freunde-Bücher und Familienfotos nicht unbeträchtliche Umsätze   – und das alles nur, weil ein paar Sechsjährige in den Aufsichtsbereich der staatlich verordneten Schulpflicht kamen.
    All das beschrieb der Pastor in leuchtenden Farben, vom Gottesdienst über das erste Treffen in der neuen Klasse bis zur gemeinsamen Familienfeier. (Die wir ja nun nicht haben würden, aber ansonsten hatten wir es schon richtig gemacht.)
    Dann las er den Predigttext   – es ging darum, dass Abraham, der mir zum Glück bekannt war, aus seiner Heimat aufbricht und von seinem Gott in ein neues Land geschickt wird. Da hieß er aber noch Abram und stammte aus Haran und sollte nach Kanaan gehen, was sich in einem Rap gut gemacht hätte, bei dem Geräuschpegel in der Kirche aber nicht ganz leicht zu unterscheiden war.
    Daraufhin schien der gute Mann völlig zu vergessen, was er zu Anfang behauptet hatte: dass es heute um eine große Menge sechsjähriger Kinder ging. Er predigte in gewaltigen Worten über Aufbruch und dass allem Anfang ein Zauber innewohne.
    Henning beugte sich zu mir herüber und flüsterte: »Ich wusste gar nicht, dass Hermann Hesse in der Bibel steht.«
    Ich grinste zurück. »Vermutlich weiß der Papst das auch nicht.«
    In den Reihen wurde es immer unruhiger. Die ganz kleinen Kinder begannen mit Experimenten. Eines von ihnen testete zum Beispiel, ob die an den Vorderbänken befestigten Handtaschenhaken Geräusche machten, wenn man sie hin und her drehte. Einige davon taten es. Daraufhin testete auch die Mutter des Kindes, wie lange sie das Kind nur durch rhythmisches Wippen auf ihrem Schoß beschäftigen konnte. Das Ergebnis war deutlich weniger erfolgreich.
    Ein anderes Kind hatte wohl schon geahnt, dass es langweilig werden könnte, und sich vorsichtshalber ein Spielzeugauto mitgebracht, das man über die Gesangbuchablage fahren lassen konnte. Das allein war schon ein störendes Geräusch, aber als die anderen Kinder das Auto entdeckten und es auch mal fahren lassen wollten, kam es in dieser Reihe fast zum Eklat.
    Der Pastor ließ sich davon nicht beirren. Er
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