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Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Titel: Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters
Autoren: Tillmann Bendikowski
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Das war an sich nichts Besonderes, weil das erstens der Gang der Dinge ist und zweitens – so dachte ich – das Pferd von seinem Ableben ja nichts mehr wusste (und nach meinen zugegeben bescheidenen Einsichten in die Funktionsweisen der Tierwelt ergo auch nichts mehr davon spürte). Dem sei aber nicht so, musste ich von meinem Sohn erfahren. Denn Rocky – so der vierhufige Liebling – galoppierte jetzt über die Himmelswiese. Nun hatte ich mich bislang wahrscheinlich viel zu wenig mit dem Jenseits beschäftigt (bis Mitte vierzig hat man ja in aller Regel anderes zu tun), jedenfalls war mir die Existenz einer Himmelswiese bislang unbekannt gewesen. Noch mehr erstaunte mich die Vorstellung, dass sich dort unsere verblichenen Haus- und Nutztiere tummeln sollten. Als bemühter Katholik war ich schon ausreichend damit beschäftigt, die kirchliche Vorstellung von der Auferstehung der Menschen nachzuvollziehen. Einen ähnlichen Vorgang bei Rocky und seinen befellten Kumpanen einzuräumen überfordert mein Vorstellungsvermögen.
    Nun hätte mich ja ärgern können, dass die Kindergärtnerin meines Sohnes über so viel mehr seherische Kraft verfügte als ich, was den Blick in die Welt des Übersinnlichen betrifft. Das hätte ich vielleicht auch, wenn es denn meine erste Niederlage in dieser Hinsicht gewesen wäre. Das war es aber längst nicht mehr: Im Vergleich mit dem geheimen Wissen der Frauen – das räume ich gern ein – bin ich chancenlos und werde es wohl bleiben. In dieser Hinsicht gilt: Wo Mütter andere Welten sehen, sehe ich nichts. Wenn Mütter Metaphysisches und Übersinnliches fühlen, spüre ich nichts. Hier wäre endlich mal der angestoßene Begriff der Parallelgesellschaft passend, schließlich leben mitten unter uns Menschen, die an lauter Sachen glauben, die ich nicht einmal kenne. Ja, ich gebe zu, das macht mich nervös, weil es vielleicht an diesem meinem persönlichen Mangel liegt.
    Da gibt es Mütter, die plötzlich den Seelen ihrer Ahnen begegnen (ich habe den, allerdings empirisch schlecht belegbaren, Eindruck, meistens seien dies tendenziell unangenehme Begegnungen), andere sind von einem Moment auf den anderen von der Wiedergeburt überzeugt oder haben bei einem Elternabend bei der Frage, welcher Teig für die Waffeln auf dem Sommerfest denn nun der richtige sei, das energetische Potenzial zwischen den Anwesenden als Farbe gesehen. Und ich? Ahnungslos wie eine Katze vor dem Kalender. Würde ich tatsächlich irgendwann einmal eine gute Mutter sein?
    Nun will ich nicht ungerecht sein: Es gibt sicherlich zwischen Himmel und Erde Dinge, die sich unserem rationalen Zugriff entziehen (allerdings ereignen sich schon in unserer Familie so viele solcher Dinge, dass ich sie als etwas Alltägliches bezeichnen würde, ohne dafür esoterische Erklärungsmuster zu Rate ziehen zu müssen, aber gut). Und kein christlicher Gottesdienst kommt schließlich ohne den – Entschuldigung – Zauber des Übersinnlichen und Nicht-Erklärbaren aus. Aber können wir es nicht dabei belassen und ansonsten die Welt ganz entspannt so nehmen, wie sie ist? Weshalb muss ich beim Kennenlernabend eines Kindergartens die kupferne Kugel in der Hand halten, wenn wir uns reihum vorstellen? Und warum fassen alle Mütter bei einem Elternabend einen Zweig an, um das Leben des Baumes zu spüren (das übrigens so pulsierend nicht mehr war, schließlich war der Zweig ja zuvor vom Baum abgeschnitten worden)? Müssen wir vielleicht etwas anderes berühren, um uns zu vergewissern, dass wir selbst noch leben? Ist das der Grund, warum immer mehr Mütter Bäume umarmen? Und ist das überhaupt fair? Irgendein höheres Wesen, das wir verehren, hat dem Bruder Baum schließlich die Existenz von Beinen und Füßen versagt – er kann nicht weglaufen. Ist es nicht gemein, ihn dann einfach in den Arm zu nehmen? Wurde er wenigstens vorher gefragt? Und wenn ja: Was hat er geantwortet?
    Stumm bleibt aber nicht nur der Baum, wenn er von einer Mutter zwecks möglicher Umarmung angesprochen wird – in sehr viel majestätischerer Weise gilt das auch für den guten alten Mond. Der geht bekanntlich stille durch die Abendwolken dahin (aufgrund dieser kommunikativen Zurückgenommenheit dürfen wir vermuten, dass es sich bei dem tapferen Trabanten um einen Mann handelt) und nimmt also auch keinerlei vernehmbare Stellung zu den inzwischen recht ausführlichen Debatten um seinen Einfluss auf die eitlen Menschenkinder. Gerade bei Frauen ist der Glaube an den Mond
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