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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
Autoren: Christian Y. Schmidt
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denen Kerzen brennen. Am Tisch nebenan sitzt eine Gruppe junger chinesischer Touristen. Sie haben schwarze Flusskrebse bestellt, eine Spezialität der Gegend, die sie geräuschvoll auslutschen. Nach dem Essen stellen die Frauen aus der Gruppe große Plastiktüten auf den Tisch und packen aus, was sie am Tag eingekauft haben. Shopping gehört in China untrennbar zum Sightseeing dazu; hat man nichts eingekauft, kann man die Pyramiden besichtigt haben, den Markusplatz oder den Louvre, der Ausflug war trotzdem ein Reinfall. Die Fahrt nach Xitang aber war ein voller Erfolg, auf dem Tisch liegt bald ein Dutzend goldener Handtaschen, Schals, Geldbörsen, Blusen und Lederstiefel. «Die Fakes hier», lobt eine der Damen, «kommen alle aus Guangzhou. Das sind die besten überhaupt.»
    Auch ich ziehe Bilanz meines Tages. Ich habe nichts eingekauft. Ich habe auch vergessen nachzuzählen, wie viele Kanäle, Brücken und Gassen es genau in Xitang gibt. So bringe ich es nie zum Chinesen. Dafür habe ich festgestellt: Eigentlich stimmt nichts an Mission: Impossible III, bis auf die Fassaden. Selbst das Wetter ist gelogen. Im Film sieht man die ganze Zeit einen strahlend blauen Himmel, die gesamte Stadt wirkt klar und frisch. Tatsächlich war es heute grau, schwül und dunstig.

    Ein ferner Lautsprecher weckt mich am nächsten Morgen: «yi er san si, yi er san si, yi er san si» – eins, zwei drei, vier. Irgendwo da draußen wird Sport getrieben oder marschiert. Das erinnert mich daran, dass ich heute weitermuss. Zumindest sollte ich einen Bus finden, der mich zu meinem nächsten Ziel bringt. Eigentlich will ich zum Jiu Hua Shan, einem heiligen Berg der Buddhisten, mehr als dreihundert Kilometer von hier. Direkt werde ich da wohl nicht hinkommen. Es müsste aber einen Bus nach Huzhou geben, der nächsten größeren Stadt. Um den zu suchen, muss ich aus der Altstadt raus und in den modernen Teil von Xitang. Dort sieht die Stadt nicht mehr so herausgeputzt aus: Auf dem Bürgersteig liegt das Gefieder von frisch gerupften Gänsen, im verwilderten Stadtpark rostet das Kinderkarussell vor sich hin, und auf einem Stichkanal dümpeln mit Abfällen beladene Kähne, auf denen Lumpensammlerfamilien wohnen. Hier, wo niemand mehr mit einem ausländischen Touristen rechnet, starrt mich jeder an, als hätte ich mein Geschlechtsteil mit Leuchtfarbe bemalt und ließe es frei aus dem offenen Hosenstall baumeln. Gleichzeitig schwillt das «Hello»-Gebrüll zu einem vielstimmigen Kanon an. «Hello» hier, «hello» an der nächsten Ecke, «hello» überall. Nach einer Weile beginnt das dann doch an meinen Nerven zu zerren, auch weil mir klar wird: Das geht jetzt die nächsten fünftausend Kilometer so weiter. Es nervt umso mehr, weil ich einfach keinen Bus finde. Erst glaube ich, den lokalen Busbahnhof instinktiv erspürt zu haben. Als ich an der gefühlten Stelle nur auf eine große Markthalle stoße, fange ich an, Leute auf der Straße zu fragen. Das bringt mich auch nicht weiter. Jetzt bin ich ratlos. Soll etwa diese Reise schon nach neunzig Kilometern zu Ende sein, nur weil ich keinen Plan habe? Was würde beispielsweise Tom Cruise in meiner Situation machen? Mir fällt nichts ein, außer dass ich den Film gerne sehen würde: Mission: Impossible IV, Tom Cruise sucht in einer chinesischen Kleinstadt einen Bus und findet ihn zwei geschlagene Filmstunden nicht. Stattdessen bekommt er alles Mögliche heraus: dass in der Kleinstadt im April die Miss China Tourism Queen 2007 gewählt wurde, dass der neue Swimmingpool der Schule schon wieder zu verrotten droht, man aber nichtsdestotrotz in der großen Pause den Radetzkymarsch spielt, als sei das ein Triumph. Und dass auf freiem Feld die Altstadt einfach weitergebaut wird, um den Touristen zukünftig noch mehr alte chinesische Wasserstadt bieten zu können.

    Ich wandere sogar aus der Stadt hinaus, um eine Bushaltestelle zu finden. Ich finde dort aber nichts weiter als riesige Werbetafeln, die Umgehungsstraße und einen Mann, der zwischen der Straße und den Tafeln ein paar Schafe hütet. Doch irgendwann gibt es doch noch ein Happy End für meine Odyssee. Als ich wieder in die Stadt zurücklaufe, stoße ich auf eine Straßenkreuzung, an der eine Reihe Mianbao Che stehen, zu Deutsch Brotautos. So nennen die Chinesen ihre Minibusse, deren Form tatsächlich an Kastenbrote erinnert. Vor jedem Einzelnen dieser Brote steht eine Frau und schreit das Fahrtziel aus. Ich frage nach einem Bus nach Huzhou.
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