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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern
Autoren: Luise F Pusch
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»pedantische, eingebildete Frau«; frz. couturier »Modeschopfer«/ couturère »Schneiderin«; dän. professor »Professor «/professorinde »Frau des Professors«. Diese Asymmetrie hat Auswirkungen auf den Status abgeleiteter Feminina im allgemeinen; die Feminina werden als zweitrangig empfunden — auch von vielen Frauen.
    Daraus ergibt sich eine dritte Regularität: Die Bezeichnung von Frauen mit einem Maskulinum wird als Aufwertung interpretiert, während die Bezeichnung von Männern mit einem Femininum als Degradierung empfunden wird. Dies hat Konsequenzen für die Entwicklung des Wortschatzes patriarchalischer Sprachen. Die Neubildung maskuliner Ausdrücke von vorhandenen Feminina wird generell vermieden; vgl. die folgenden Beispiele: ital. la levatrice »Hebamme« — das zugehörige Maskulinum müßte il levatore lauten; statt dessen — um negative Assoziationen zu vermeiden — wird ein neues Maskulinum mit anderem Stamm gebildet: l’ostetrico; ähnlich dän. sygeplejerske »Krankenschwester« ® * sygeplejer ® sygeplejerassistent; span . * azafata »Stewardess« ® azafato —* comisario de abordo; dt. Kindergärtnerin ® * Kindergärtner —> Erzieher, [nach Hellinger 1985: 3 f.]

    Besonders die letzten Beispiele zeigen deutlich, daß die Regulari-täten patriarchalischer Sprachen nicht linguistisch, sondern schlicht machtpolitisch motiviert sind. Nie und nimmer darf das männliche Prinzip dem weiblichen untergeordnet werden! Deshalb — und wir feministischen Linguistinnen haben lange gebraucht, um dieses Gesetz in seiner Unverblümtheit zu kapieren — dürfen Feminina wie Hebamme, "Witwe oder Hausfrau (ja nicht einmal die maskulinen Rückbildungen von Feminina, vgl. * azafato und * Kindergärtner ) unter keinen Umständen zum Oberbegriff avancieren, auch wenn das linguistisch-morphologisch die normale Lösung wäre. Die logische Konsequenz aus dieser Einsicht ist:

    Den Ungerechtigkeiten patriarchalischer Sprachen ist praktisch und theoretisch mit systemlinguistischen Mitteln nicht beizukommen, sondern nur mit sprachpolitischen . Dazu mehr im dritten Teil dieses Artikels.

    Die mittels der Genera Maskulinum und Femininum in die meisten europäischen Sprachen zutiefst verankerte Metapher (Sabatini) männlicher Macht und weiblicher Ohnmacht erschwert deren Therapie ungeheuer — zumindest die Therapie nach dem englischen Vorbild, welche männliche Interessen ungeschoren läßt. Nehmen wir zur Verdeutlichung einen Ausspruch von W. H. Auden:

    However pitiful a handful his readers, a poet at least knows this much about them: they have a personal relationship to his work. (Auden 1967).

    Heute hätte Auden wahrscheinlich geschrieben:

    However pitiful a handful his or her readers, a poet at least knows this much about them: they have a personal relationship to his or her work.

    Die Übersetzung in eine Genussprache wie das Deutsche sieht wie folgt aus:

    Mögen auch ihre oder seine Leserinnen und Leser nur eine traurige Handvoll sein, eine Dichterin oder ein Dichter weiß jedenfalls dies über sie: Sie haben eine persönliche Beziehung zu ihrem oder seinem Werk.

    Wie wir sehen, ist die Therapierung einer Sprache wie Englisch, die kein grammatisches Genus besitzt, relativ einfach, während die Feminisierung von Genus-Sprachen es keineswegs ist. Die Resultate der Therapie werden gewöhnlich als »unschön« und »schwerfällig« beurteilt. Es ist aber nicht unsere Schuld, daß für Frauen in den patriarchalen Sprachen kein Platz ist. Das geben Männer, Lexikographen, die es wissen müssen, bisweilen sogar selbst zu:

    [...] bis in neue zeit [beherrscht] der mann sprache und literatur fast allein. (Alfred Götze, Grimmsches Wörterbuch, Bd. 28, Sp. 336)

    Es ist nicht unsere Schuld, daß sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern (das aus dem engl. Sprachraum übernommene Ziel) für die Genus-Sprachen kaum praktikabel ist. Sie belastet nicht nur Männer, sondern Frauen genauso — für uns bedeutet sie schließlich das überaus lästige ständige Miterwähnen auch der Männer. Frauen nehmen aber derzeit die Belastung noch auf sich — und werden für ihre aufopferungsvolle Arbeit auch noch beschimpft (ein klassisches Beispiel für die männliche Strategie des blaming the victim »dem Opfer die Schuld geben«). Es ist wie wenn ein Elternpaar mit zwei Kindern sich einen Zweisitzer zugelegt hätte und sich dann beklagt, daß es eng wird, wenn die Kinder mitfahren sollen. Hätten sie ihre Kinder
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