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Alle Familien sind verkorkst

Alle Familien sind verkorkst

Titel: Alle Familien sind verkorkst
Autoren: Douglas Coupland
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nichts anderes, als bei euch in der Küche sitzen. Es kommt mir vor, als wäre ich furchtbar weit weg. Ich fühle mich so ... krank.«
    Wade konnte seine Mutter, die neben seinem Vater stand, fragen hören, worum es ging. »Ted? Was ist los? Sag schon.«
    »Nichts ist los, Jan. Sarah gewöhnt sich nur gerade ans Lagerleben.«
    »Ich gewöhne mich nicht ans Lagerleben, Daddy. Ich würde am liebsten sterben. Ich will hier nicht sein. Ich will nach Hause.« Neuerliche Tränen.
    »Ted«, sagte Janet, »lass mich mit ihr sprechen.«
    »Jan, beruhige dich. Es geht ihr gut. Warum sollte sie das Camp hassen? Ich habe es als Kind geliebt.«
    »Es geht mir nicht gut, Daddy.«
    »Du wirst das Camp lieben, meine Süße. Das würde ich nicht sagen, wenn ich nicht davon überzeugt wäre. Das Camp war die beste Erfahrung meines Lebens.«
    Am anderen Ende der Leitung war ein Klicken zu hören; eine Frauenstimme ertönte: »Hallo? Hallo? Kleines Fräulein, mit wem hast du telefoniert?« Am Hörer war die Lagerleiterin, eine Mrs. Wallace.
    Ted sagte: »Tut mir Leid, dass Sarah Sie beim Abendessen gestört hat, Mrs. Wallace. Das ist sonst gar nicht ihre Art.«
    Im Hintergrund heulte Sarah aus vollem Halse.
    »Manche Kinder bekommen im Lager Heimweh, Mr. Drummond. Das ist ganz natürlich. Ihre Sarah wird sich bestimmt bald eingelebt haben.«
    Sarahs Weinen wurde noch lauter. Ted legte auf, nachdem er sich noch einmal für das untypische Verhalten seiner Tochter entschuldigt hatte. Wade schlenderte mit Unschuldsmiene in die Küche, wo Janet gerade sagte: »Du musst sie abholen, Ted. Sie ist körperlich total am Ende, wie soll sie da etwas lernen? Das ist grausam.«
    »Ist es nicht. Du übertreibst. Allen Kindern gefällt es im Lager. Sie muss sich nur erst daran gewöhnen. Sie wird es lieben. Mrs. Wallace hat mir erzählt, dass sie morgen den Düsenantrieb durchnehmen, und abends gibt es Kentucky Fried Chicken.«
    »Ich hab kein gutes Gefühl dabei, Ted.«
    »Hör auf, sie zu verhätscheln. Die hält was aus.«
    Am nächsten Morgen wachte Wade früh auf und schlich sich aus dem Haus. Sein Verschwinden war keineswegs ungewöhnlich und fiel nicht weiter auf. Er fuhr mit dem Bus zu seiner Bank, hob seine Ersparnisse ab, rund 340 Dollar, und nahm an dem Stand neben dem mexikanischen Imbiss am Busbahnhof ein Taxi, sein erstes. Der Taxifahrer war etwa Mitte vierzig, sein Teint ähnelte einem Schmorbraten, und Wade konnte ihm trotz seiner Jugend ansehen, dass er auf dem absteigenden Ast des Lebens schon ziemlich weit nach unten gerutscht war. Als Wade ihm sagte, er wolle nach Cultus Lake und zurück, knöpfte der Fahrer ihm auf der Stelle das Geld ab; Wades einzige Sorge, er könnte ein redseliger Typ sein, erwies sich als unbegründet. Nachdem der Fahrer unvermittelt herausgeplatzt war: »Eine Fahrt aufs Land kann ich gut gebrauchen«, schwieg er für den Rest des Wegs.
    Um elf Uhr morgens hatten sie die Einfahrt zum Lager erreicht. »Parken Sie weiter unten«, sagte Wade - schon damals zeigte sich sein strategisches Genie. »Ich will nicht, dass die Polizei hier nach einem Taxi sucht.«
    »Okay, Partner.«
    Wade ging zum Hauptgebäude und verlangte den Aufsichthabenden zu sprechen. Die einzige halbwegs respekteinflößende Person, die er zu fassen bekam, war ein weiblicher Teenager, der den therapeutischen Bereitschaftsdienst schwänzte, um eine zu rauchen. Wade lächelte. Innerhalb einer Minute hatte er herausbekommen, was er wissen musste: »Die Düsenantrieb-Gruppe? Das ist die Schlafbaracke Madame Curie. Die sind unten bei der Slipanlage.« Wade marschierte unverzüglich zur Slipanlage hinunter, wo eine Horde Mädchen gerade eine Abschussvorrichtung umringte. Sarah hockte als Einzige abseits, die Knie an die Brust gezogen und von Magenkrämpfen geplagt, weil sie seit achtundvierzig Stunden weder gegessen noch geschlafen hatte.
    Wade nahm einen Kieselstein und zielte direkt vor ihre Füße. Sarah blickte auf und entdeckte ihren Bruder, und Wade war beeindruckt davon, wie souverän sie die Fassung bewahrte. Sarah wartete bis zur Detonation der Rakete, bevor sie lässig auf Wade zuging. Er fragte sie: »Können wir?«
    »Sofort.«
    »Geh hinter mir her. Wir müssen leise sein.« Wade führte Sarah durch einen Sekundärwald, etwa hundert Jahre alt und von tückischen Hindernissen durchsetzt - Baumstümpfe und herumliegende Stämme, die nach all der Zeit noch immer kaum verrottet waren. Ein paar Minuten später tauchten die zwei genau vor dem
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