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All unsere Traeume - Roman

All unsere Traeume - Roman

Titel: All unsere Traeume - Roman
Autoren: Julie Cohen
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Meerschweinchen, ihr Atem bildete aufsteigende Wölkchen. Sie hob eine Hand zum Gruß und eilte weiter auf das Wäldchen zu, das die Schule auf allen Seiten umgab.
    Auf dem Sportplatz spielte eine Gruppe Mädchen Hockey. Sobald Claire in dem Gehölz war, wurden ihre Anfeuerungsrufe leiser. Sie schloss die Hand fester um die Gegenstände in ihrer Tasche und beschleunigte ihre Schritte. Sie ging um Rhododendronbüsche herum. Der Duft von Kiefernnadeln hüllte sie ein. Dann erreichte sie das verrostete Eisentor, das in einer Ecke am Ende des Schulgelän des verborgen war. Sie stieß das Tor auf und betrat den Friedhof.
    Die Schüler von der St. Dominick’s kamen nur selten hierher. Als Claire einmal ein halbes Dutzend Abiturienten mitgenommen hatte, weil sie den Ort inspirierend fand, erzählten sie ihr, dass es Gruselgeschichten gebe über den Friedhof der Nonnen. Eine handelte von einer klagenden Frau, in einer anderen ging es angeblich um einen ge spenstischen Nebel. Doch bei Tageslicht war der Friedhof nicht Furcht einflößend: Sonnenstrahlen drangen durch die hohen Kiefern und fielen auf die grauen Steine. Diese waren alle unterschiedlich geformt und unterschiedlich groß, manche ganz alt, andere aus jüngerer Zeit. Obwohl die St. Dominick’s School nun schon seit vielen Jahren keine Nonnen mehr beherbergte, wurden Ordensschwestern, die weggezogen waren, gelegentlich noch hier begraben, wo sie ihr gottgeweihtes Leben begonnen hatten. Die neueren Gräber am äußeren Rand bestanden aus flachen Granitblöcken. Neben dem einen oder anderen standen Plastikblumen in Körbchen.
    Sie ging in die Mitte des Friedhofs. Die Inschriften auf den Steinen waren hier kaum zu entziffern. Irgendwo in den Bäumen schwatzte eine Elster.
    Claire trug eine Wolljacke. In der linken Tasche befand sich ihr Handy. In der rechten waren zwei sorgsam in Toilettenpapier eingewickelte Gegenstände. Bevor sie sie herausholte, blickte sie sich um, obwohl sie wusste, dass sie allein war. Nicht einmal der Geist einer Nonne sah ihr dabei zu, als sie jetzt die Schwangerschaftstests auspackte.
    Gesehen hatte sie die blauen Striche bereits. Sie waren praktisch sofort erschienen, nachdem sie den Test durchgeführt hatte, doch das war auf der Lehrertoilette gewesen, wo die Lichtverhältnisse nicht gut waren. Sie musste sicher gehen, dass es nicht reines Wunschdenken war. Jetzt hielt sie den ersten Test hoch und betrachtete die Striche eingehend.
    Positiv. Ein klares, dunkles Positiv. Das Gleiche beim zweiten Test. Sie hatte sich nicht getäuscht.
    Sie sank auf das Gras, ohne auf Raureif und Kälte zu achten, und starrte auf die Tests in ihrem Schoß.
    Sie sollte Ben anrufen. Und ihre Mom. Eigentlich sollte sie noch gar keinen Test machen. Ben und sie waren übereingekommen, dass es am klügsten war, bis zu dem richti gen Test morgen früh in der Fruchtbarkeitsklinik zu warten.
    Doch sie konnte nicht warten. Während sie die siebte Klasse ermahnte, doch bitte besser aufzupassen, während der Proben für das Frühjahrskonzert, während der Lehrerkonferenz – die ganze Zeit hatte sie nur an eines gedacht: ihren winzigen Embryo, ihren und Bens.
    Bitte bleib, hatte sie gedacht. Genau wie in jeder Minute der letzten zehn Tage, seitdem er in ihre Gebärmutter eingepflanzt worden war.
    Bitte bleib. Auf der Fahrt in die Schule. Beim Zähneputzen. Beim Abspülen der Gläser. Bleib bei mir. Beim Abendessen mit Ben. Der erste Gedanke beim Aufwachen und vor dem Einschlafen.
    Halt dich fest und lebe. Ich möchte dich kennenlernen.
    Sie ließ das Handy in der Tasche. In diesem Augenblick, nach allem, was geschehen war, wollte sie mit ihrem Geheimnis allein sein. Sich selbst gut zureden, dass sie es tatsächlich geschafft hatte.
    Behutsam legte Claire beide Hände auf den Bauch. »Hallo«, sagte sie leise.
    Sie hob das Gesicht und ließ sich von der Wintersonne die Haut wärmen.
    »Bloß eine?« Mit gerunzelter Stirn blickte Romily über den Pausenhof zu dem kleinen Mädchen und seiner Mutter, die am Eingang warteten. »Du hast doch so viele Kinder eingeladen.«
    »Ich hab beschlossen, nur eine Freundin einzuladen«, sagte Posie gelassen.
    »Was ist denn aus den ganzen Einladungen geworden, die du mitgenommen hast? Die Wegbeschreibung hat mich viel Zeit gekostet. Hast du sie denn nicht verteilt?«
    Posie öffnete ihre Schultasche. Am Boden lagen zerknitterte rosafarbene Briefumschläge.
    »Du hast sie überhaupt nicht verteilt?«
    »Doch. Eine.« Posie nickte in
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