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All unsere Traeume - Roman

All unsere Traeume - Roman

Titel: All unsere Traeume - Roman
Autoren: Julie Cohen
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doch Romily kannte ihre Schritte, kannte ihre Bewegungen, fühlte sie in dem tiefen instinktiven Teil von sich, der Milch produzierte, der keine Wörter kannte, in dem die Liebe regierte.
    »Mum?«
    Das Gesicht ihrer Tochter war gerötet. In ihren Haaren hingen Schneeflocken. Sie trug immer noch ihre Gummistiefel und ihren Mantel. Romily streckte ihr die geöffneten Arme entgegen, und Posie eilte hinein, und Romily hielt sie umschlungen. Ihre kalte, sich allmählich erwärmende Haut. Ihr Kindergeruch und ihr Herzklopfen.
    »Ich liebe dich«, sagte Romily zu ihr. »Ich bin deine Mutter, und ich liebe dich.«
    »Geht es dir gut? Hast du das Baby bekommen?«
    »Mir geht es prima. Ich habe das Baby bekommen. Es ist bei Ben. Du wirst es bald einmal sehen können.«
    »Der Zug hatteVerspätung. Wir sind vom Bahnhof gelaufen. Ich hatte Angst, Mummy.«
    Romily hielt sie. Sie wiegte sie, und sie atmete sie ein. Sie war so klein gewesen. Jetzt war sie so groß und gescheit und zärtlich. Romily küsste sie auf die Stirn.
    Sie spürte, dass Jarvis sie vom Türrahmen aus beobachtete. Sie streckte ihm die Hand entgegen, und geräuschlos kletterte er zu ihnen aufs Bett und legte die Arme um sie beide.

Ein Teil des Puzzles
    A ls es an der Tür klingelte, wollte sie zunächst nicht hingehen. Sie war sowieso beschäftigt, denn mithilfe eines kleinen Pinsels strich sie sämtliche Kanten und Ecken des Zimmers, das nun wieder ein Gästezimmer war, mit einem halb vollen Eimer Malerfarbe, den sie hinten im Schuppen gefunden hatte, übrig geblieben von der Renovierung der Toilette im Erdgeschoss. Es war eine Art bläuliches Schiefergrau mit Namen »Providence Harbour«, und Claire hatte sich dafür entschieden, weil es nicht sonnenscheingelb war und weil es der einzige Farbrest war, den sie hatte finden können. Und weil sie nicht still sitzen konnte und weil es sie immer wieder zurück in dieses Zimmer zog, das nun so ohne alle Möbel und Hoffnungen war.
    Das Streichen entwickelte wie immer seine eigene Dynamik: Man wurde mit der einen Kante fertig, und dann konnte man nicht widerstehen, die nächste in Angriff zu nehmen, und die nächste. Die kniffeligen Stellen ums Fenster und die Lichtschalter waren besonders befriedigend, und Claire stand gerade gebückt da und bearbeitete den letzten Teil über der Fußleiste, als es an der Tür klingelte.
    Sie hatte keine Ahnung, wer es sein könnte. Niemand hatte bei ihr angerufen oder ihr eine SMS geschickt, seitdem sie Romilys Wohnung verlassen hatte. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, die sie abzulegen vergessen hatte: neun Uhr morgens. Irgendwie war der nächste Morgen nach dem Geburtstag des Babys angebrochen, ohne dass sie es bemerkt hatte. Es wirkte wie eine Ewigkeit und gleichzeitig wie überhaupt keine Zeit, ohne andere Menschen, die einem als Vergleichsmaßstab dienen konnten.
    Die Türklingel ging erneut. Es könnte der Postbote sein, dachte sie. Nein, es war Sonntag. Vielleicht war es ihre Mutter, die irgendwie gespürt hatte, dass Claire sie brauchte, und hergekommen war. Hoffnung regte sich bei dem Gedanken und brachte Claire dazu sich aufzurichten, sich die Haare hinters Ohr zu stecken und nach unten zu gehen, den Pinsel in der Hand.
    Es war nicht ihre Mutter, sondern eine unbekannte Frau, deren Haare streng zu einem Zopf gebunden waren, das Gesicht zu einem Lächeln verzogen. Sie trug eine groß e Vase mit Blumen. »Puh, die Straßen sind der Wahnsinn. Lieferung für Claire Lawrence.«
    Claire nahm die Blumen entgegen, indem sie sie mithilfe ihres Handgelenks aufrecht hielt, da sie immer noch den Pinsel in der Hand hatte. Sie hatten ihr Blumen geschickt? Ben? Als eine Art Trostpreis dafür, dass sie nicht Mutter geworden war?
    »Ich wünschte, mir würde jemand so einen Strauß schicken«, sagte die Lieferantin fröhlich. Ihr Lachen verstummte, als Claire überhaupt nicht reagierte. »Tja, wie dem auch sei, schönen Tag noch.«
    Ohne sich die Mühe zu machen, die Tür gegen die kalte Luft zu schließen, stellte Claire den Strauß auf die Konsole. Sie schob sich den Pinsel unter den Arm, ohne auf die Flecken auf ihrer Kleidung zu achten, und öffnete den winzigen Briefumschlag, der an dem Strauß befestigt war.
    Vielen Dank, dass Sie für mich da waren. Ich hätte es ohne Sie nicht geschafft. Ich hoffe, Ihr Lied hat Ihnen gefallen. Max
    Claire lächelte. Es war ihm aufgefallen. Er hatte daran gedacht. Vielleicht zwei Tage zu spät, aber schließlich war er ein Teenager.
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