Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht
Autoren: Louis Bayard
Vom Netzwerk:
begann sie wie eine Irre vor sich hin zu murmeln.
    »Wir könnten im Theater miteinander sprechen«, sagte Bernard Styles.
    »Wie wär's mit dem zweiten Rang, Mr. Cavendish? Dort sind wir vielleicht ungestört.«
    Sicheren Schritts stieg er die mit Teppich belegte Treppe hinauf und sprach dabei weiter.
    »Was für ein hübsches kleines Pasticcio. Ein echtes elisabethanisches Theater hätte natürlich kein Dach, nicht wahr? Oder eine so bequeme Bestuhlung. Gleichviel, ganz charmant. Möchte wissen, welches Stück hier zur Zeit aufgeführt wird.«
    »Oh, es ist Verlorene Liebesmüh .«
    »Na, wenn das nicht passt!«
    »Ach?«
    »Ob es in moderner Kleidung gespielt wird? Nein, das frage ich mich nicht. Was diese spezielle Frage betrifft, gebe ich mich längst geschlagen. Wo man heute auch hinkommt, überall sieht man Uzis bei der Schlacht von Azincourt … Imogen in Jeans … den Than von Cawdor im Dreiknopfsakko. Demnächst werden Romeo und Julia sich einfach simsen. Weg mit dem blöden Balkon. OMG , Romeo. LOL . ILY 24-7. Oh, chacun à son goût , werden Sie vielleicht sagen, aber vielleicht ist goût ja schon zu hoch gegriffen? Für mich ist das im Gegenteil reine Überempfindlichkeit. Ich habe in meinem Leben schon Schlimmeres gesehen als Wams und Kniebundhose. Je früher wir unsere Kinder gegen diese Schrecken immunisieren, desto stärker werden sie sein …«
    Er setzte sich in die erste Reihe und hob den Blick zur Decke, an die mit viel Liebe zum Detail ein blauer elisabethanischer Himmel gemalt war – viel hübscher als der Himmel draußen. Düsteres Schweigen überkam ihn. Er schlang seine Finger um das Geländer.
    »Sie kennen Alonzo schon ziemlich lange«, sagte er schließlich.
    » Kannte , ja.«
    »Meines Wissens haben Sie auch die Ehre, sein Nachlassverwalter zu sein.«
    Ich sah ihn an.
    »Scheint so«, sagte ich.
    »In diesem Fall können Sie mir vielleicht behilflich sein, ein kleines Problem zu lösen.«
    »Das kommt ganz auf das Problem an.«
    Fältchen breiteten sich um seine Augen und Mundwinkel aus, während er zart über das Geländer strich.
    »Ein Dokument«, sagte er, »das mir kürzlich abhandengekommen ist.«
    »Tut mir leid, das zu hören.«
    »Mir liegt viel daran, es wieder in meinen Besitz zu bringen.«
    »Verstehe.«
    In das abermals entstandene Schweigen hinein fragte ich schließlich so höflich wie möglich:
    »Und Sie suchen mich auf, weil …?«
    »Oh! Weil Alonzo es sich von mir ausgeliehen hat.«
    Ich starrte ihn an. »Ausgeliehen?«
    »Gewissermaßen. Ich ziehe es vor, menschliches Handeln mit Nachsicht zu beurteilen. Bestimmt hätte der arme Alonzo mir das Dokument zu gegebener Zeit zurückerstattet. Aber jetzt, da er das Zeitliche gesegnet hat, ist das natürlich …« Er wies taktvoll zur Decke. »Was für ein Verlust.«
    »War das Dokument wertvoll?«
    »Nur für einen alten Gefühlsmenschen wie mich. Wenngleich es nicht einer gewissen historischen Pikanterie entbehrt. Wer wüsste das besser zu würdigen als Sie, Mr. Cavendish.« Er beugte sich vor und fügte verschwörerisch hinzu: »Sie waren schließlich zu Ihrer Zeit auch ein eminenter Kenner der elisabethanischen Epoche, nicht wahr?«
    In diesem Augenblick wurde es merklich kühler, oder aber meine Wangen waren warm geworden.
    »Ich fühle mich geschmeichelt«, sagte ich. »Es schmeichelt mir, dass Sie sich sogar an meinen Namen erinnern.«
    »Zum Teufel mit Ihrer Bescheidenheit! Wie sollte ich mich nicht an den Vortrag erinnern, den Sie 1992 am Oriel College gehalten haben? Das Empire und der Silber-Poet. «
    »Sie waren da?«
    »Oh, ja, und die Attacke gegen das Bild von Ralegh als Dilettant war mir sehr willkommen. Und Chauvinist, der ich bin, war ich überrascht, dass ein Amerikaner wie Sie das wahrhaft Englische in Raleghs Persönlichkeit so genau zu erfassen vermochte. Noch englischer als er war meiner Meinung nach nur Shakespeare.« Er schnalzte mit der Zunge. »Alles in allem ein beeindruckender, ein fundierter Vortrag. Ich war mit Sicherheit nicht der Einzige, der Großes von Ihnen erwartet hat.«
    »Dann tut es mir leid, Sie enttäuscht zu haben.«
    »Aber das haben Sie nicht«, antwortete er. »Jedenfalls noch nicht. In Anbetracht Ihrer Vorgeschichte und Ihrer langjährigen Freundschaft mit Alonzo wüsste ich niemanden, der besser geeignet wäre als Sie, mir bei der Wiederbeschaffung meines kleinen Dokuments zu helfen.«
    Seine Hand wischte immer noch über das Geländer. Hin und her, hin und her.
    »Um
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher