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Alfons die Weihnachtsgans

Alfons die Weihnachtsgans

Titel: Alfons die Weihnachtsgans
Autoren: Kari Koester-Loesche
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Augen argwöhnisch drei Möwen, die über der Warf kreisten und auf der Suche nach etwas Essbarem die Köpfe hierhin und dorthin drehten. Anscheinend blieben sie erfolglos. Schon im Abdrehen landete mit einem vernehmlichen Geräusch ein dicker Batzen Kot am Wintergartenfenster und zog im Heruntergleiten eine grünschwarze Spur hinter sich her. Empört sprang Anke auf. »Zielschießen mal wieder! Das habe ich mir gerade so gedacht! Die machen das mit voller Absicht! Ich kann doch nichts dafür, dass sie hier kein Essen finden! Oder sie haben sich über Kurt geärgert.«
    »Gäste?«
    »Onkel Calle! Hier schießen doch keine Gäste! Möwen!«
    »Betrachte es als Düngemaßnahme«, schlug Calle lachend vor. »Ihr könntet Alfons am 23. Dezember abholen, wie üblich gerupft und ausgenommen. Herz, Leber, Nieren, Magen, Hals mit Kopf ohne Schnabel extra. Die Füße auch?«
    »Nein, Calle«, sagte Anke unter Bedauern, als sie an ihre Großmutter dachte, an die sie sich noch gut erinnern konnte. »Großmutter war die Einzige, die Füße und Gehirn nach altem Brauch wirklich aß. Ich muss gestehen, dass ich nie gerne zugesehen habe, wenn sie bei Tisch die Haut von den Füßen zog und die Knöchelchen ablutschte. Nein, und ab jetzt möchte ich weder Füße noch Hirn im Schmortopf haben, um sie anschließend doch wegzuwerfen.«
    »In Ordnung.«
    »Übrigens habe ich keine Zeit, den Ganter abzuholen«, fuhr Anke fort, »selbst wenn er bereit wäre, bis zur Fähre hinter mir her zu marschieren. Es ist bei so viel Besuch einfach zu viel vorzubereiten. Und Anna benötigt mich hin und wieder auch.«
    »Kindergarten und Lehrer werden sich über den Zuwachs freuen.«
    »Na ja, bis dahin ist es noch Zeit ...«
    »Gut. Mach dir wegen der Gans keine Gedanken! Dann schlachten wir sie, wann wir Zeit haben – das passt auch mir besser –, und frieren sie ein«, schlug Calle vor. »Ich schicke sie dann am 22. Dezember mit der Fähre rüber. Reicht dir das, Anke?«
    »Ja, das ist wunderbar. Sollte sich wegen des Wetters etwas ändern, telefonieren wir. Tschüs, Onkel Calle.«
    »Es wird nicht nötig sein, Anke. Diese Wissenschaftler haben mit ihrer Klimaveränderung recht. Wir können uns bald von Tannenbäumen zu Weihnachten auf Palmen umstellen. Wetten?«
    Eine Woche später hätte Onkel Calle seine Wette schon verloren. Das Fernsehen zeigte ein riesiges Hochdruckgebiet, dessen Kern über Südfinnland lag und das eisige, trockene Luft aus Russland nach Deutschland schickte.
    Für alle Gartenbesitzer bedeutete dieses Wetter Barfrost, der nicht sonderlich willkommen war. Tore, dessen Eltern seit kurzem aus Niebüll zugezogen und jetzt die nächsten Nachbarn von Onkel Calle waren, freute sich hingegen. Er schwatzte oft mit ihm, und manchmal half er ihm beim Füttern seiner Gänse auf der Fenne unterhalb der Dorfwarft.
    An diesem Tag, zwei Wochen vor dem Weihnachtsfest, sprang und hüpfte Tore voller Vorfreude neben Onkel Calle her, als dieser den Warftabhang zur Weide hinunterstapfte. Er selbst war dick eingemummelt, und ihm machte der frostige Nebel, der sie in Schwaden umwaberte, nichts aus. »Großvater Fedder nimmt mich gleich bei Ferienbeginn aufder Lore zur Hallig mit, wenn er die Post abgeholt hat«, berichtete er stolz. »Wenn es so kalt bleibt, kann ich bestimmt auf dem Fething Schlittschuh laufen oder schlittern. Vielleicht gibt es ja auch Schnee, und wir können auf der Straße Schlitten fahren.«
    »Donnerwetter, hast du aber ein Glück! Nicht jeder Zwölfjährige hat einen Opa, der Postschiffer von Langeness ist«, sagte Onkel Calle schmunzelnd.
    »Manchmal zieht sogar ein Traktor unsere Schlitten, fünf, sechs hinter einander. Stell dir vor!«
    »Wirklich?« Onkel Calle sah Tore mit einer Mischung aus Entsetzen und Unglauben an. »Wissen sie denn auf der Hallig gar nicht mehr, was man an den Weihnachtstagen darf und was nicht?«
    »Was meinst du?«, fragte Tore unsicher.
    »In den Zwölften darf nichts rundgehen, Tore! Das ist die Spökeltied des Jahres.«
    Tore erschrak. »Was ist das denn, Onkel Calle?«
    Calle blieb stehen und sah ihn ernst an. »Das sind die zwölf Tage von Weihnachten bis zu den Heiligen Drei Königen am 6. Januar. Die dunkelsten und gefährlichsten Tage des Jahres. In früherer Zeit blieben Menschen und Tiere im Haus, aus Angst vor dem, was draußen passierte. Sie sangen viel und spielten und feierten nach Herzenslust den Jul. Niemand durfte arbeiten. Und bei all dem haben sie immer aufgepasst, dass ihnen
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