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Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Titel: Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Autoren: Sven Koch
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direkt von der Uni in die Nachrichtenredaktion gekommen. Sie hatte weder Staub gefressen noch Blut geleckt.
    »In jedem Fall geht hier noch was«, fügte Marlon hinzu. »Eddie hat schon einen ganzen Chip voller Bilder. Ich melde mich.« Dann drückte er sie weg, steckte das Handy in die Gesäßtasche der Cargo-Hose und verscheuchte eine Wespe, die es sich auf seinem lachsfarbenen Poloshirt bequem gemacht hatte.
    Eddie stand an den Flatterbändern, mit denen die Polizei den Kindergarten weiträumig abgesperrt hatte, und schwenkte das hellgraue Teleobjektiv. Sein Kopf war puterrot. Unter der Fotoweste musste er im eigenen Saft kochen. Ein paar Haarsträhnen hatten sich aus dem dunklen Pferdeschwanz gelöst und klebten auf seiner Nickelbrille.
    »Meinst du, die gehen rein?«, fragte Eddie und schraubte das Tele ab, um es gegen ein Weitwinkelobjektiv auszutauschen. Er wollte ein paar Nahaufnahmen von den Angehörigen machen. Hier vorne gab es im Moment keine Action, und an sämtlichen Fenstern des Kindergartens waren zu Eddies Ärger die Jalousien heruntergelassen worden.
    »Nie im Leben.« Marlon verzog das Gesicht. »Da sind knapp fünfzig Kinder drin – ein taktischer Alptraum. Schätze, die werden versuchen, den Typen zu beruhigen.«
    »Stell dir bloß mal vor, da wäre dein Kind dabei!« Eddie schulterte ächzend seine überdimensionale Kameratasche und hielt die Canon mit angewinkeltem Arm auf die gleiche dekorative Art hoch wie die Cops in Action-Filmen ihre MP s.
    »Gott sei Dank habe ich kein Kind«, zischte Marlon, dessen Gedanken in diesem Moment weniger mit Mitgefühl als mit Überschriften in 47 Punkt und seinen Namen in der Autorenzeile beschäftigt waren. Von diesem Kuchen musste er sich dringend ein ordentliches Stück abschneiden. Er schnippte die Marlboro über die Absperrung. »Aber wenn ich eines hätte, würde ich dem Kerl das Genick brechen.«
    … und wie schön wäre es, einen Vater zu finden, der mir genau das in den Block diktiert. Mit vollem Namen und Foto …
    »Na ja«, sagte Eddie, der Marlon um einen Kopf überragte. »Ich jedenfalls besorge mir jetzt mal ein paar Nahaufnahmen und Porträts.« Damit verschwand er.
    Die Sache hatte gegen zehn begonnen, als Marlon mit der Aussicht auf einen langweiligen und heißen Tag in die Redaktion aufgebrochen war. Ihn erwarteten Telefonate über eine Hintergrundgeschichte zur letzten Puffrazzia. Vielleicht noch ein Vorbericht über einen Mordprozess und natürlich das gähnend langweilige Feature fürs Wochenende über Polizeichef Jonathan Schwartz, der in den Ruhestand gehen würde. Marlon schob diesen Bericht vor sich her wie ein Stück gammeliges Sushi. Mehr als einmal war er mit Schwartz aneinandergeraten.
    Als Marlon gerade bei McDrive seinen allmorgendlichen Kaffee bezahlen wollte, klingelte das Handy. Marcus, Marlons alter Freund und Tippgeber aus der Polizeibehörde, legte ohne ein Wort der Begrüßung sofort los: »Schnall dich an. Geiselnahme im Kindergarten
Klabauterkiste.
Mehr hab ich noch nicht. Wir sehen uns.«
    Die Worte »Geiselnahme« und »Kindergarten« in einem Satz wirkten auf Marlon wie eine Spritze Adrenalin direkt ins Herz. Mit Vollgas und quietschenden Reifen war er losgerast, ohne den Kaffee zu bezahlen. Der auf der Mittelkonsole abgestellte Becher flog wie ein Geschoss ins Heck des Audi TT und verteilte seinen kochend heißen Inhalt auf den Lederpolstern.
    Die Fakten, soweit Marlon sie offiziell vom Polizeisprecher und inoffiziell von Marcus sowie einigen Augenzeugen in Erfahrung gebracht hatte, stellten sich so dar: Ein Mann spaziert mit zwei Sporttaschen in den Kindergarten. Er zieht eine Waffe und teilt den Erzieherinnen mit, dass es sich um eine Geiselnahme handele. Es werde nichts geschehen, wenn seine Forderungen erfüllt würden. Eine der Frauen ist gerade auf der Toilette. Sie verständigt die Polizei per Handy und sagt, dass der Mann bewaffnet ist. Zu der Frau hält die Polizei eine Standleitung, kappt aber den Kindergarten sofort vom Telefonnetz, weil es sonst nur eine Frage der Zeit wäre, bis Anrufe auf die
Klabauterkiste
einprasselten und den Entführer nervös machten. Der Mann verlangt ein Funkgerät und nennt seine Forderungen. Er lehnt einen Arzt ab, weil er glaubt, dass dieser ein verkleideter Polizist sein könnte. Mit Psychologen spricht er nicht. Wenn der Mann auch nicht ganz dicht ist, so war er dennoch nicht zu unterschätzen.
    Das war nicht viel, aber wie gewöhnlich wusste Marlon mehr als die
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