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Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Titel: Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Autoren: Sven Koch
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meisten anderen, denn die Polizei arbeitete eng mit der
Neuen Westfalenpost
zusammen. Zwangsläufig. In der Region gab es keine weitere Tageszeitung, damit war die Polizei auf Gedeih und Verderb dem Blatt ausgeliefert, das täglich mehr als siebenhunderttausend Menschen darüber aufklärte, ob die Ordnungshüter gute oder schlechte Arbeit leisteten. Überbringer dieser Urteile war Marlon Kraft. Sein Einfluss stand außer Frage, dabei war für ihn das uralte Prinzip des Gebens und Nehmens selbstverständlich, ein inoffizieller Vertrag zwischen Polizei und Journalisten, der besagte: »Gibst du mir eine Story, feiere ich deinen Ermittlungserfolg.« Allerdings floss in Marlons Adern Boulevardblut, und so kam gelegentlich die Zusatzklausel im Kleingedruckten zum Tragen: »… Es sei denn, ich kann meine Autorenzeile über eine Story schreiben, die sich um das Abkassieren von Strafgeldern ohne Quittung oder nächtliche Schwulensaunabesuche von Abteilungsleitern dreht. Dann bin ich John Wayne. Und du bist mein Steigbügel.«
    Marlon setzte die Sonnenbrille auf und überlegte gerade, ob er Micha in der Redaktion bereits darauf ansetzen sollte, eine Namensliste der Kinder zu organisieren, als er den vertrauten Geruch von
Obsession
und Zigaretten wahrnahm.
    Marcus trug über seinem dunkelblauen Polohemd eine schusssichere Weste. Die Adern an den ergrauten Schläfen pulsierten wie kleine Schläuche. »Können wir reden?«, fragte er mit seiner tiefen Bassstimme. Er wirkte angespannt. Als Marlon nickte, fasst er ihn am Arm. »Komm mit.«
    Die Polizei hatte die Einsatzzentrale in einer Dorfbäckerei eingerichtet. Als Marlon seinem alten Freund in den Verkaufsraum folgte, schlug ihm der schwere Duft von frischem Brot und süßen Puddingteilchen entgegen. Wespen hatten es sich auf dem Zuckerkuchen und den Obstschnitten bequem gemacht. An der Wand hing eine blaulila strahlende Lampe und wartete darauf, die Insekten mit Elektroschocks zu brutzeln.
    Marcus führte ihn durch einen Flur, an dessen Ende hinter einer wuchtigen Eichentür ein kleines Büro lag, das die Polizei in Beschlag genommen hatte. In dem völlig überfüllten Raum stand die Luft. Es roch nicht mehr nach frischen Backwaren, es roch nach Schweiß. Telefone und Laptops bedeckten den Schreibtisch. Ein Grundriss des Kindergartens hing an der Wand. Thermosflaschen und Kaffeebecher sowie Pappteller mit angebissenen Brötchen standen herum. Hinter dem Schreibtisch thronte in einem mit Breitcord bezogenen Sessel Jonathan Schwartz höchstpersönlich. Der Alte wollte sich den letzten großen Auftritt seiner Karriere natürlich nicht nehmen lassen. Er redete gerade mit einem schwarzgekleideten Mann in Kampfstiefeln, brach das Gespräch aber sofort ab, als Marcus und Marlon den Raum betraten. Das nervöse Kribbeln, das Marlon in Erwartung exklusiver Infos verspürt hatte, verflog, als Schwartz von den Papieren aufsah und Marlon aus grauen Augen gleichgültig anblickte. »Ah, unser Starreporter«, murmelte er und bedeutete Marcus, die Bürotür zu schließen.
    Die übrigen Polizisten sahen ihn schweigend an. Einige hatten die Arme vor der Brust verschränkt. Schließlich durchbrach Schwartz die Stille: »Also machen wir es kurz: Was wollen Sie wissen?«
    Verunsichert trat Marlon von einem Bein auf das andere. Hier stimmte etwas nicht. Absolut nicht. »Wird das eine exklusive Pressekonferenz?«
    »Fast.« Schwartz verschränkte die Arme und lehnte sich in dem Sessel zurück.
    »Sie nehmen mich auf den Arm!«
    Der Polizeichef schüttelte gemächlich den Kopf.
    »Okay«, sagte Marlon zögernd. Wenn das ein Spiel werden sollte, dann war der Zeitpunkt zwar schlecht gewählt, aber er würde so lange mitspielen, wie es ihm dienlich sein konnte. »Planen Sie einen Zugriff?«
    Schwartz schüttelte erneut den Kopf.
    »Gibt es Verletzte?«
    Wieder verneinte der Polizeichef.
    »Steht die Identität des Täters fest?«
    Schwartz nickte.
    »Wie ist sein Name? Wer ist er und was will er?«
    »Das«, brach Schwartz sein Schweigen, »möchte er Ihnen persönlich sagen.«
    Die Worte trafen Marlon wie ein Blitz. Pure Elektrizität. Ein Interview mit dem Kindergarten-Geiselnehmer. Hochoffiziell abgesichert. Ein Kracher. Das würde bundesweit laufen. Mindestens. Schwartz wippte auf dem Stuhl, zog einen Kugelschreiber aus der Hemdtasche, klickte die Mine rein und raus.
    »Die Situation ist extrem heikel, Herr Kraft«, erklärte er. »Wir haben in einem vollbesetzten Kindergarten einen bewaffneten
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