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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran
Autoren: Jean-Claude Izzo
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andere?«
    »Die andere? Welche andere?«
    »Die, mit der ich heute Nachmittag geschlafen habe. Ich weiß nicht mehr … Es spielt keine Rolle.«
    »Lalla ist …« Er wagte nicht, es auszusprechen: »Meine Tochter.« Wozu sollte das jetzt auch noch gut sein? Er müsste erklären, ausholen. Dazu blieb ihm keine Zeit. Und ändern würde es sowieso nichts mehr. »Sie ist ein feines Mädchen. Das Leben hat es nicht gut mit ihr gemeint. Kannst du das verstehen?«
    »Hast du sie mitgenommen?«
    »Ja. Ich will sie da raushalten, Abdul.«
    Er sah Abdul an. »Ich will nicht, dass sie da hineingezogen wird. Verstehst du? Sag schon, verstehst du das?«
    Abdul nickte.
    »So ist es schon genug. Nicht, dass sie noch mehr leidet. Die Polizei, die Verhöre.«
    »Ja, da hast du Recht. Aber ich hab ihn umgebracht, Diamantis. Ich hab ihn umgebracht.« Seine Stimme klang wieder fast normal. Sie bekam wieder Farbe. Die Gefühle kehrten in ihn zurück. Schmerz. Reue.
    Diamantis öffnete den Wandschrank und griff nach einer Leinenhose und einem Hemd. »Zieh dich um!«
    »Ich sehe lächerlich aus, was?«
    »Zieh dich um, verdammt!«
    »Ich habe ihn umgebracht.« Abdul stand auf. »Was für eine Dummheit. Mein Gott, was für eine Dummheit.«
    In der Ferne hörten sie die Polizeisirenen. Auch einen Unfallwagen. Sie kamen näher.
    Abdul legte seinen Arm auf den von Diamantis. Er hatte die sauberen Sachen angezogen und war sich mit den Fingern durch die Haare gefahren. Er hatte seine Haltung wieder gefunden. Mit gestrafften Schultern und erhobenem Haupt.
    »Das ist kein Unfall, Diamantis. Ich könnte das niemals behaupten. Es entspricht nicht der Wahrheit. Ich hab auf ihn eingedroschen, verstehst du. Mehrmals. In den Bauch, dann auf Kinn und Nase. Immer wieder. Er hat geweint, Diamantis. Nedim hat geweint. Er hat mich angefleht aufzuhören. Das Mädchen auch. Sie hat versucht, mich von ihm abzubringen. Hat mich von ihm weggezerrt. Ich habe ihr eine gelangt, verstehst du, einen kräftigen Schlag mit dem Handrücken, und sie weggeschleudert …«
    Er holte Luft.
    »Verstehst du, dieses Mädchen war nicht mehr der Grund. Ich wollte gar nicht mehr mit ihr schlafen. Es ging um ihn. Um Nedim. Ich konnte ihn nicht mehr ertragen. Ich konnte seinen Optimismus nicht mehr ertragen. Er war die ganze Zeit glücklich. Er fand immer einen Grund, glücklich zu sein. Selbst im tiefsten Elend. Irgendwo in seinem Kopf fand er immer eine Nische zum Lachen. Dieser Typ strotzte nur so vor Hoffnung. Vor Leben.«
    »Abdul …«
    »Hör mir zu. Verflucht, ich hätte so gern mit dir geredet. Hör zu … Als ich angefangen habe, ihn zu schlagen, habe ich verstanden, dass ich gegen das Leben kämpfte, gegen das Glück, gegen all diese Dinge. Nicht gegen ihn, nein. Gegen das, was ich nicht war, nie gewesen bin … Nie sein werde, Diamantis. Womit zum Teufel haben seine Eltern den Kerl getauft, dass er so viel Lebensfreude hatte? Kannst du mir das sagen?«
    Diamantis war unfähig zu antworten. Sein Hirn war wie ausgeschaltet.
    »Verdammt, Diamantis, gib mir eine Antwort.« Abdul krallte sich jetzt an Diamantis’ Hemd fest. Er schüttelte ihn.
    Diamantis löste Abduls Finger von seinem Hemd. Einen nach dem anderen. Er sah ihm fest in die Augen. »Darauf gibt es keine Antwort, Abdul. Entweder man glaubt an das Glück, oder nicht. Das ist alles. Warum du nie daran geglaubt hast, weiß ich nicht.«
    Einen Moment herrschte Schweigen.
    »Glaubst du, dass Céphée mich deswegen fallen lassen hat? Weil ich nicht daran geglaubt habe?«
    »Keine Ahnung.«
    »Du hast keine Ahnung …« Abdul langte nach einem Fetzen Papier auf seinem Schreibtisch. »Das ist Céphées Telefonnummer. Ihre Adresse. Lass dir was einfallen, um es ihr beizubringen. Ihr zu erklären, wenn du kannst. Und frage sie, Diamantis. Ich muss das wissen.«
    »Was soll ich sie fragen?«
    »Ob es deswegen ist. Wegen dem Glück. Dass ich nicht daran geglaubt habe.«
    »Mach ich«, sagte er.
    Aber Diamantis wusste nicht, ob er sein Versprechen halten würde. Er wusste nicht, ob er Abdul jemals wieder sehen würde. Er wusste nichts mehr. Doch, dass auch er einen Tod auf dem Gewissen hatte. Und ein Mädchen, das ihn brauchte. »Ich habe immer nur Unheil um mich herum angerichtet, verstehst du. Ich habe nie verstanden, mit den anderen … Nicht mal zu Hause, meine Familie … Diamantis, selbst mein Vater …« Abdul begann in Selbstmitleid zu verfallen.
    Diamantis betrachtete ihn, hin und her gerissen zwischen Mitleid und
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