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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran
Autoren: Jean-Claude Izzo
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Verachtung, und ging den Flics entgegen, ohne das Ende des Satzes abzuwarten. Die Wagen standen mit heulenden Sirenen vor der Aldebaran.
     
    Der Morgen graute, als sie Abdul in Handschellen abführten. Diamantis sah ihn von hinten, als er die Gangway hinunterging, zwei Flics vor, zwei hinter ihm.
    Unten hob Abdul den Kopf Richtung Reling, als suchte er Diamantis, aber er wollte bloß nochmals in den Himmel schauen. Cepheus, Céphée.
    Die Polizisten verhörten Abdul, anschließend Diamantis. Die, mit denen er zu tun hatte, erwähnten Lallas Namen nicht ein einziges Mal. Diamantis nahm an, dass Abdul Wort gehalten hatte. Er hielt sich an seine Version. Sie hatten eine kleine Feier veranstaltet, reichlich getrunken. Dann war er gegangen, eine Runde durch die Stadt zu drehen. Den Wagen erwähnte er nicht. Sie fragten ihn nicht, wie er in die Stadt gelangt war.
    Den Flics war es sowieso schnuppe. Sie hatten den Toten und seinen Mörder. Und sowieso genug zu tun. Sie legten Diamantis seine Aussage zur Unterschrift vor, von Hand aufgesetzt. Am nächsten Tag um sechzehn Uhr musste er auf dem Polizeihauptquartier vorstellig werden. Das Schiff würde versiegelt werden. Er musste es sofort verlassen.
    Diamantis packte achtlos seine Sachen zusammen, vergaß aber nicht seine Seekarte und sein Notizheft. Er blätterte es durch. Ein Satz sprang ihm in die Augen. »Das Gewesene bestimmt das Sein.« Er steckte das Heft weg.
     
    »Scheußliche Sache«, sagte der junge Flic, der ihn auf dem Deck erwartete. »Scheußliche Sache.«
    Diamantis antwortete nicht.
    »Eine seltsame Nacht«, fuhr er fort. Dem Flic war nach Reden zu Mute. »Da ist auch noch ein Gauner, ein Typ von der Mafia, den es erwischt hat. Bei sich zu Hause, so ein Idiot.«
    Diamantis bemühte sich, teilnahmslos zu wirken.
    »Ein bekannter Kerl?«
    »Scheint so. Ricardo … ich weiß nicht, wie weiter. Ich fange erst an, kann ja nicht alles wissen.«
    Diamantis selbst hatte bei der Polizei angerufen. An der Place de la République hatte er vor einer Telefonzelle gehalten. Er war gerade am Polizeihauptquartier vorbeigefahren. Da hatte er sich gesagt, dass er Amina und Ricardo nicht einfach so liegen lassen konnte. Die ganze Nacht. Und dass die Leichen ein schrecklicher Anblick sein würden für eine Zugehfrau, eine Nachbarin oder wen auch immer. Scheiße! Zwei Leichen im Haus.
    »Der Typ und seine Geliebte. Scheint, dass es wieder losgeht, das Begleichen von Rechnungen. Fahren wir los?«
    Diamantis ließ seinen Blick über das Deck schweifen. Die Sonne ging auf. Ein blassrosa Hof um die Hügel der Stadt. Wie ein seltsamer Heiligenschein. Wenn das Glück existierte, hatte es dort seinen Ursprung. In dem Augenblick, in dem ein neuer Tag beginnt.
    Die Morgendämmerung verjagt die Ungeheuer, dachte er.

Epilog Mittag in Marseille, und das Leben geht weiter
    Céphée kam um fünf vor elf am Flughafen an. Während all der Monate hatte sie gründlich nachgedacht. Sie hatte Abduls Briefe aufmerksam gelesen. Besonders den letzten. Er hatte sie bewegt. Abdul war ein verlorener Mann auf seinem unbeweglichen Schiff. Wenn er kein Seemann mehr sein konnte, war er verloren. Und die Welt machte ihm Angst wie einem Kind, das nachts aufwacht.
    So viel hatte Céphée schließlich verstanden. Das änderte nichts an ihrem Leben. An ihrem Warten, ihren eigenen Ängsten. Wie sollten sie ihre Wünsche miteinander in Einklang bringen, ohne die Freuden des anderen zu beschneiden? Darauf hatte sie keine Antwort gefunden. Sie hatte auch keine Schlussfolgerungen gezogen. Nur, dass sie Abdul immer geliebt hatte und ihn zweifellos immer lieben würde.
    Sie mussten miteinander reden, sich aussprechen. Ja, das war das Entscheidende. Und zwar schnell. Natürlich war es immer sie, die die Initiative ergriff, die Gespräche und Erklärungen herausforderte. So war es nun mal. Was war daran schändlich? Nichts. Und was spielte es letztendlich schon für eine Rolle, da ihr Leben auf dem Spiel stand. Nicht ihre Liebe, ihr Leben.
    Sie hatte das Flugzeug genommen. Weil sie sich gesagt hatte, dass Nachdenken sie nicht mehr weiter bringen würde. Nachdenken ohne ihn.
    Am Vorabend hatte sie dem Wahrsager Diouf einen Besuch abgestattet. »Man soll seine Suche nie aufgeben«, hatte er ihr mit auf den Weg gegeben. »Aber was wirklich zählt, ist die Einstellung, mit der man sie unternimmt.«
    Sie hatte die ganze Nacht über diese Worte nachgedacht. Gleich nach dem Aufwachen hatte sie die Fluggesellschaft
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