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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran
Autoren: Jean-Claude Izzo
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schweben. Er zeichnete ihre Konturen nach, ohne sie zu berühren. Amina murmelte ihm entgegen: »Berühre mich, bitte. Leg deine Hand dorthin …« Er brachte seine Hand näher, streifte ihre Brüste eine nach der anderen, ihren Bauch, ihre Schamhaare. Der Duft ihres feuchten, glänzenden Geschlechts stieg ihm in die Nase. In dem Moment, als er seine Hände auf die gespreizten Beine legte, näherte er sich ihr mit den Lippen.
    »Verzeih mir, Amina.«
    Er erhob sich und ging wieder hinunter zu Ricardo, der sich einen Whisky nachgeschenkt hatte. Er war zerstört. Er sah Diamantis auf sich zukommen, ohne ihn wirklich zu erkennen. Sein Blick schien sich für immer nach innen gekehrt zu haben. Diamantis griff nach dem Glas, das er auf den Couchtisch gestellt hatte. Er trank es auf einen Zug aus, schenkte sich reichlich nach und kippte die Hälfte des Glases hinunter.
    Die Pistole lag noch immer dort, auf dem Sessel. Diamantis nahm sie. Es war ein seltsames Gefühl, eine Waffe in der Hand zu halten. Er verstand nicht, wie Männer das lieben konnten. Damit zu leben. Sie gegen andere Männer einzusetzen. Nein, das hatte er nie verstehen können.
    Langsam richtete er die Pistole auf Ricardo. Als könnte sie in seiner Hand explodieren.
    Ricardo sah zu ihm auf, lächelte, leerte sein Glas, stellte es ab und steckte sich eine Zigarette an. Er sog den Rauch kräftig ein und blies ihn durch Nase und Mund wieder aus.
    »Ich konnte es nicht«, murmelte er.
    »Was?«, blaffte Diamantis.
    »Mir eine Kugel in den Kopf jagen. Hinterher …«
    »Aber bei ihr, ja! Das konntest du. Du bist ein Feigling.«
    Ricardo zog erneut an seiner Kippe, bedächtiger diesmal. »Die Sicherung«, sagte er, »ich habe ihn entsichert.« Er flehte Diamantis mit den Augen an.
    Diamantis drückte auf den Abzug.
    Es machte nicht mehr Lärm als ein Tischtennisball auf einem Schläger.
    Ricardos Körper bäumte sich kaum auf.
    Diamantis drückte weiter auf den Abzug. Bis zur letzten Kugel.
    Ricardo sackte rückwärts in sich zusammen.
    Diamantis machte die Augen auf. Er zog ein Papiertaschentuch hervor, wischte mechanisch die Pistole ab, wie er es im Fernsehen gesehen hatte, und warf sie auf den Sessel. Er hob Ricardos Kippe auf, die auf den Fliesen verqualmte, und drückte sie im Aschenbecher aus. Dann nahm er das Glas und leerte den Whisky. Er hatte die Vision, an einem Abgrund zu stehen und zuzusehen, wie sich unten, ganz unten, sein Leben auflöste. Aber das war es nicht. Er fühlte sich nur sehr leer und abgestumpft. Er wischte das Glas ab, das er in der Hand hielt, und stellte es zurück.
    Dann ging er in den Marseiller Sommer hinaus. Mit leerem Kopf und kaltem Herzen. Er hatte nur noch eine letzte Sache zu erledigen. Was Amina beschlossen hatte. Mit Lalla sprechen.
    Mit seiner Tochter.

26 Und wie jetzt den Schlusspunkt setzen? Das ist hier die Frage
    Abdul entschuldigte sich bei Lalla für den Zustand des Schiffes. »Normalerweise …«, hatte er angesetzt. Aber er brachte seinen Satz nicht zu Ende. Lalla und Nedim folgten ihm. Am Eingang zum Hauptdeck stand auf einem großen Holzschild zu lesen: »Sorg für dein Schiff, und dein Schiff sorgt für dich.«
    »Normalerweise halten wir es so, verstehen Sie. Wir ehren unser Schiff.«
    Mit einer Sturmlampe versehen, der letzten, die noch funktionierte, führte Abdul den Besuch über das Deck. Nedims Laune hatte sich verschlechtert. Er hatte genug von Abdul und seinen Geschichten, von diesem hochnäsigen Unterton, mit dem er dauernd seine Überlegenheit ihm gegenüber unterstrich. Zugegeben, an Bord der Aldebaran war er nur ein einfacher Seemann, aber an Land gab es, verflucht noch mal, keinen Kapitän und keinen Seemann mehr. Dort waren sie alle gleich arme Schweine. Und die vom Rost zerfressene Aldebaran war nicht mehr als ein elendes Wrack. Abdul sollte seinen eigenen Arsch rumkommandieren!
    »Alles klar?«, erkundigte er sich bei Lalla.
    »Ja, großartig«, gab sie lächelnd zurück. Sie schmiegte sich sanft an ihn. Er tätschelte ihre Schulter und fuhr ihr dann mit der Hand über den Rücken.
    Sein Bedürfnis, sie in die Arme zu schließen, wurde immer stärker. Er dachte daran, wie leicht sie gewesen war, als sie miteinander getanzt hatten. An das Glücksgefühl, als ihre Körper miteinander verschmolzen. Er träumte davon, von ihren nackten Körpern, die sich im Rhythmus des Salsa wiegten, sich suchten, erregten, vereinten. Zwischen seinen Beinen spürte er ein Prickeln. Er begehrte Lalla, verdammt, nur
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