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Alchemie der Unsterblichkeit

Alchemie der Unsterblichkeit

Titel: Alchemie der Unsterblichkeit
Autoren: K Pflieger
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Mit einem Aufschrei prallte Icherios zurück. Dann rannte er. Weiche Pfoten huschten über den Boden. Aus einem Augenpaar wurden erst zwei, dann drei. Icherios rannte so schnell wie noch nie in seinem Leben. Endlich erreichte er den Waldrand. Auf dem Feldweg stolperte er und stürzte. Schluchzend rappelte er sich wieder auf. Im Nebel konnte er die Umrisse seiner Verfolger nicht erkennen, einzig ihre Augen leuchteten bedrohlich nah hinter ihm.
    Dann endlich: die Lichter Galenbachs drangen rettenden Leuchtfeuern gleich durch den Nebel zu ihm durch. Sobald er sich dem Ort genähert hatte, verschwanden die Kreaturen. Icherios stürmte trotzdem ängstlich weiter, bis er keuchend vor dem Gasthaus zusammenbrach. Kurz darauf erklang ein langes, klagendes Geheul, in das rings um das Dorf weitere Stimmen einfielen. Sobald sich Icherios gesammelt hatte, versteckte er das Laudanum in seiner Tasche, löschte das Licht der Laterne, klopfte den Dreck von seiner Kleidung, wischte die Tränen aus dem Gesicht und schlich zurück in den Gastraum. Es dauerte Stunden, bis sein Körper nicht mehr von Angstkrämpfen geschüttelt wurde und er in einen nervösen Schlaf fiel.

4
    Glashütte
    G
    A m nächsten Morgen fühlte sich Icherios wie erschlagen. Und die folgenden Tage sollten keine Besserung bringen. Jeden Abend bildeten sich neue Prellungen und blaue Flecken an seinen Beinen und an seinem Rücken von der holperigen Kutschfahrt. Am dritten Tag gab er seine Selbstbeherrschung auf und stöhnte bei jedem schmerzhaften Stoß auf. Die einzige Erleichterung bot die Tatsache, dass die Damen zu Molander am zweiten Tag der Reise in eine andere Kutsche umgestiegen waren. Während die Berge weiter in die Höhe wuchsen, wurden die Gasthäuser und Poststationen immer kleiner. In manchen Nächten teilten sie sich den Raum mit mehreren Schafen und Hunden. Nach seinem Erlebnis in Galenbach wagte Icherios allerdings keine weiteren Alleingänge mehr, und so quälte ihn stets sein Verlangen nach einer beruhigenden Dosis Laudanum.
    Die Wälder verloren allmählich ihren hellen Glanz. Dunkle Nadelbäume lösten die lichten Laubbäume ab. Giftpflanzen wie Fingerhut, Fliegenpilze und Stechpalmen lauerten in grünem Dickicht. Trotzdem raubte der Anblick der nebelverhangenen Täler, durch die reißende Bäche flossen, Icherios den Atem. Die Luft gewann an Klarheit, prickelte in der morgendlichen Kälte auf der Haut. Während der regelmäßigen Pferdewechsel an den Stationen nutzte Icherios die Zeit, seine verspannten Gliedmaßen zu lockern. Er nahm Proben von Pflanzen, die er abends sorgfältig in sein Notizbuch abzeichnete. Je weiter sie in den Schwarzwald vordrangen, desto weicher und melodischer wurde die Mundart der Menschen. Icherios bereitete der Dialekt zeitweise Schwierigkeiten, sodass er Mühe hatte, den Unterhaltungen zu folgen.
    Am fünften Tag erreichten sie am späten Nachmittag die Ortschaft Glashütte. Die kleine Ansammlung Häuser, die sich an die Ufer der Schönmünz drängte, verdankte ihren Namen der Schwarzenberger Glashütte, die 1733 errichtet worden war. Wie in allen Dörfern, die sie durchquerten, standen auch hier mehrere Gebäude leer. Man konnte annehmen, dass ihre Bewohner entweder geflohen oder verhungert waren. In Zeiten der Not waren wenige Menschen in der Lage, Geld für Glas auszugeben, wodurch die Situation in Glashütte nicht zum Besten stand. Auf den Straßen lungerten arbeitslose Holzfäller und magere Kinder herum. Sie bewunderten die dahinpreschende Postkutsche. Die Neuigkeiten, die deren Insassen mit sich brachten, gehörten zu den wenigen Abwechslungen, die sich in der abgelegenen Ortschaft boten. Der Gasthof beeindruckte Icherios. Stallungen und Wirtschaftsgebäude bildeten ein Hufeisen. Das Hauptgebäude war in dem für die Gegend typischen Baustil errichtet. Holzverkleidungen zierten die Hauswand oberhalb der prächtigen Balkone, die durch weit vorgezogene Dächer geschützt wurden. Aus Blumenkästen wucherten üppige Geranien, und lange Stränge Weihrauch hingen mehrere Meter herunter. Auf dem gepflasterten Hof klapperten die Pferdehufe.
    Die Begrüßung durch den Wirt, ein junger, schlanker Mann mit rotem Haarschopf, der sich als Kurt Mess vorstellte, war herzlich. Das erste Mal seit Beginn der Reise schlief Icherios in einem eigenen Zimmer. Es war zwar schlicht, aber sauber. Ächzend fiel Icherios in die weichen Federn und war versucht, das Essen ausfallen zu lassen. Sein Magen hatte die immer größer werdenden
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