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Alchemie der Unsterblichkeit

Alchemie der Unsterblichkeit

Titel: Alchemie der Unsterblichkeit
Autoren: K Pflieger
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fühlten sich, als wenn ihnen die Seele aus dem Leib geschüttelt werden würde. Häufig verlangsamte sich die Fahrt, weil sie auf der Straße liegenden Menschen ausweichen mussten.
    Thirza von Molander ereiferte sich über diese Unterbrechungen: »Wie rücksichtslos von diesem Gesindel!«
    »Ich denke nicht, dass sie sich freiwillig dort gebettet haben.« Oleg Bartholus schüttelte den Kopf.
    »Das ändert nichts an ihrer Schuld an dem ganzen Elend.«
    »Wie meinen Sie das, meine Dame?«
    »Das ist doch offensichtlich. Diese unreinen Kreaturen haben in Sünde gelebt und Gottes Zorn auf sich gezogen.«
    »Dem kann ich nicht zustimmen. Die Ursache für die Not liegt einzig beim Markgrafen von Baden-Baden, der die Ausfuhr und den Handel mit Nahrungsmitteln unterbindet. Während sein Volk fett und behäbig wird, verhungert unseres.«
    Auf ihrem Gesicht bildeten sich feine Schweißperlen. »Wie können Sie es wagen! Das ist Gotteslästerung! Sehen Sie doch hinaus! Die Sünder sterben am Hunger.« Ihre Lippen umspielte ein arrogantes Lächeln. »Und die gottesfürchtigen Menschen können weiterhin unbesorgt in Wohlstand leben. Sobald die Unreinen von der Erde getilgt sein werden, wird sich auch das Wetter wieder bessern.«
    Icherios wandte sich angewidert ab. Er kannte genug Frauen und Männer wie seine Mitreisenden, die ihre Selbstsucht hinter gespielter Frommheit verbargen. Es gibt nichts Gefährlicheres und Gemeineres als einen frömmelnden Menschen, der sein Herz in der Kirche gelassen hat. Dies war eine der wenigen Weisheiten seines Vaters, denen er zustimmen konnte.
    Nach Einbruch der Dämmerung erreichten sie Galenbach. Von der Ortschaft konnte Icherios im Halbdunkel nicht viel erkennen. Sehr groß war sie allerdings nicht, denn das Gasthaus war zugleich auch die Poststation. Direkt nach ihrer Ankunft eilte ein Knecht nach draußen und schirrte die Pferde ab. Der Gastraum bestand aus einem einzigen großen Raum, der tagsüber der Bewirtung diente. Nachts räumten die Wirtsleute Tische und Stühle zur Seite, um Schlafplätze zu schaffen. Der Gastwirt war von knorriger Gestalt, und seine Töchter wirkten trotz ihrer jungen Jahre verhärmt. Die Damen zu Molander verlangten natürlich gleich lautstark nach einem separaten Zimmer und erhielten die Räumlichkeiten der Familie im Gegenzug für einen Beutel Münzen. Eilig rückte der Wirt einen Tisch zurecht und brachte drei Stühle herbei. Auf dem Boden schliefen einige Holzfäller und Tagelöhner, die am nächsten Morgen noch vor der Dämmerung an die Arbeit mussten. Der Geruch ungewaschener Leiber hing schwer in der Luft, doch das leutselige Gesicht des Wirtes wirkte wie ein warmer Willkommensgruß. »Wir haben noch Suppe und Brot. Was möchtet Ihr trinken?«
    Icherios liebte Weine, vor allem die roten. »Einen kräftigen Rotwein, mein Herr.«
    Der Wirt pfiff durch eine Zahnlücke. »Nennt mich Holg. Den Wein bekommt Ihr.«
    Nachdem er die Bestellung aufgenommen hatte, wieselte Holg flink davon und raunte seinen Töchtern die Anweisungen zu. Es waren Zwillinge mit großen, braunen Augen und langen, dunklen Haaren, zurückgehalten mit hellen Haarbändern. Um sie unterscheiden zu können, trugen sie Schürzen in unterschiedlichen Farben – die eine in rot, die andere in blau.
    Die Suppe, die nun vor ihm stand, war so dünn, dass man die Maserung am Boden der Holzschale erkennen konnte. Dazu bekam jeder eine dicke Scheibe Brot. Nach dem ersten Bissen klebten Icherios zähe Sägemehlspäne zwischen den Zähnen. Auch auf dem Land streckten die Menschen das kostbare Getreide mit allem, was den Magen füllte. Auch der Rotwein schmeckte nicht besonders, er war so sauer wie unreife Johannisbeeren.
    Nach dem Essen fingen Bartholus und Arohn an, Decken und Felle auf dem Boden auszubreiten. Icherios stellte bestürzt fest, dass er nicht daran gedacht hatte, Bettzeug mitzunehmen. In seinen Vorstellungen hatte immer ein warmes Bett und eine üppige Mahlzeit in gemütlich eingerichteten Zimmern auf ihn gewartet. Er fühlte sich furchtbar unerfahren. Dann schob er zwei Stühle zusammen und versuchte, sich für die Nacht einzurichten.
    Bartholus betrachtete diese Bemühungen kopfschüttelnd, bevor er sich hinlegte und augenblicklich in Schlaf versank.
    Sobald Icherios sicher war, dass ihn niemand mehr beachtete, holte er Maleficium hervor und gab der Ratte ein Stück Brot. Glücklich sah er seinem kleinen Gefährten zu, wie er genüsslich an dem Kanten nagte. »Wäre ich nur eine
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