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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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Wonifatjews, den Photokünstler, Naina Telianowa und ihr Stubenmädchen hat dieser Mann dort getötet. Auch mich hat er zweimal versucht umzubringen, aber der Herr hat mich bewahrt.
    Sie zeigt auf den Angeklagten Selig. Der will etwas rufen, ist aber wegen seines beschädigten Kehlkopfs dazu nicht imstande. Tumult im Saal.
    Vorsitzender (das Glöckchen läutend): Was für Begründungen haben Sie für eine solche Erklärung?
    Lissizyna: Darf ich zuerst erklären, warum Bubenzow nicht der Mörder ist? Zunächst die Sache mit den Köpfen . . . Mir hat keine Ruhe gelassen, dass Bubenzow Nainas Anspielungen und Drohungen so ruhig aufnahm und die junge Frau mit seiner Gleichgültigkeit nur noch mehr aufbrachte. Weshalb sollte er so mit dem Feuer spielen? Ein Wort von ihm hätte genügt, und sie wäre ganz fügsam geworden. Unverständlich. Andererseits hätte die Fürstin keinen anderen als Bubenzow in dieser schrecklichen Angelegenheit gedeckt, und aus ihrem Auftreten war ersichtlich, dass sie etwas Besonderes über ihn wusste. Heute, als Seine Bischöfliche Gnaden unsere Aufmerksamkeit auf diesen Umstand lenkte und nachwies, dass der Verdacht gegen Murad Dshurajew unbegründet ist, fiel mir plötzlich ein, was Naina nach dem Untersuchungsexperiment zu Bubenzow sagte. › Derselbe Havelock, dieselbe Schirmmütze. Wie sie im Mondlicht geblinkt hat . . . ‹ Keiner der Anwesenden konnte mit diesen Worten etwas anfangen, es waren ja auch alle daran gewöhnt, dass die Fürstin in Rätseln sprach. Aber jetzt ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Als Naina das sagte, ging Bubenzow schon zur Tür, und sie sah ihn von hinten. Verstehen Sie?
    Vorsitzender: Gar nichts verstehe ich. Aber fahren Sie fort.
    Lissizyna: Ja doch! Ich sehe jetzt ganz deutlich, wie alles war. In der Nacht, in der die Wonifatjews ermordet wurden, ging Naina im Park spazieren. Vielleicht hoffte sie, Bubenzow würde herauskommen, doch der war zu dieser Zeit schon gegen sie abgekühlt, da er einen Plan ausgeheckt hatte, sich ohne ihr Zutun das Erbe von Frau Tatistschewa zu erschleichen. Vielleicht konnte sie auch aus verständlicher Erregung nicht schlafen. Da sah sie plötzlich zwischen den Bäumen Bubenzow, genauer, seine Silhouette: Havelock, die bekannte Schirmmütze. Wahrscheinlich rief sie ihn nicht an, weil er zu weit weg war. Bubenzow benahm sich so geheimnisvoll, dass die Fürstin beschloss, sich nicht zu erkennen zu geben und ihm zu folgen. Ich weiß nicht, ob der Mörder zu diesem Zeitpunkt die Leichen bereits in den Fluss geworfen hatte, aber dass er die abgeschnittenen Köpfe vergrub, hat Naina zweifellos gesehen. Als empfindsame, phantasiebegabte Frau hielt sie diese unwahrscheinliche Szene sicherlich für ein mystisches Ritual. Oder sie erstarrte vor Entsetzen, was unter solchen Umständen auch natürlich wäre. In diesem Zustand – eine Mischung von Entsetzen und Erstarrung – sah ich sie drei Tage später, als ich nach Drosdowka kam. Naina Telianowa hütete geflissentlich das Geheimnis der vergrabenen Köpfe, wofür sie sogar die weißen Bulldoggen töten musste, an denen ihre Großmutter so hing. Dennoch hatte Bubenzow sie sehr verstört. Als er aber wieder in Drosdowka erschien und darüber sprach, dass er die Ermittlung gegen die blutgierigen Heiden aufgenommen hatte, dachte sie, jetzt seinen Plan verstanden zu haben: einen ungeheuerlich dreisten und hinreißend unmenschlichen Plan. Damals sprach sie auch vom Dämon. Wahrscheinlich fand sie, dass satanische Spiele mit dem Schicksal von Menschen eine weitaus berauschendere Kunst seien als Theater und Malerei. Sie ist nicht die Erste, die dieser Versuchung erlag.
    Vorsitzender: Das klingt alles sehr glaubhaft. Aber woraus schließen Sie, dass Selig der Mörder ist?
    Lissizyna: Er gab hier an, dass er Sytnikow nach dem Kaufmann ausgefragt hatte. Nur von ihm wissen wir, dass er in Bubenzows Auftrag handelte. Und außerdem, Bubenzow steckt zwar bis über die Ohren in Schulden, aber mit den fünfunddreißigtausend wäre er nicht weit gekommen. In der Stadt wird erzählt, dass seine Schulden in die Hunderttausende gehen. Hätte er sich wegen einer für seine Begriffe so geringfügigen Summe etwa die Hände schmutzig gemacht? Anders Selig. Für ihn sind fünfunddreißigtausend ein Vermögen. Doch außer Bereicherung verfolgte er noch ein anderes Ziel: Er wollte seinem Gönner bei der Karriere behilflich sein und zusammen mit ihm die Leiter hochklettern. So schnitt er die Köpfe nicht
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