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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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Kneipe in die andre. Ich glaube, Wladimir Lwowitsch hatte schon damals den Hintergedanken, im Falle eines Falles die Morde auf Murad abzuwälzen. Weshalb sonst benutzte er das Stativ?« Selig zeigte auf das Beweisstück. »Es wäre ja auch einfacher gegangen. Wladimir Lwowitsch ist sehr kräftig, er sieht nur so mickrig aus, ist aber ganz muskulös, und wenn er in Rage gerät, verhüte Gott, dass man ihm da in die Hände fällt. . . Zu guter Letzt hat er sich vor mir überhaupt nicht mehr geniert. Als ihm die Gräfin Telianowa bei dem Untersuchungsexperiment offen drohte, war er finster wie eine Gewitterwolke. Er ging im Zimmer auf und ab und grübelte, dann sagte er plötzlich: › Ich geh jetzt in die Nacht hinaus. Wenn jemand nach mir fragt, sag ihm, ich hätte mich schlafen gelegt. ‹ Er kam erst gegen Morgen zurück. Ganz durchnässt und schmutzig . . .«
    Seligs Aussage wurde auf ganz empörende und ungehörige Weise unterbrochen.
    Die nachlassende Wachsamkeit der Polizisten ausnutzend, schwang sich Bubenzow leicht, ja, graziös über die Barriere, flog auf seinen ungetreuen Spießgesellen zu und schlug ihn mit aller Kraft aufs Ohr, warf ihn sodann zu Boden und krallte ihm die kleinen, aber eisenharten Hände in die Kehle.
    Die Polizisten eilten Selig zu Hilfe, es kam zu einer abscheulichen Szene, und die Verhandlung musste unterbrochen werden.
    Als der Prozess weiterging, saßen die beiden Angeklagten getrennt, Bubenzow außerdem zwischen zwei Polizisten und mit Handfesseln. Das Aussehen des Inspektors war gar nicht mehr synodal: Auf der Stirn prangte ein großer Bluterguss, der Kragen war zerrissen, die Augen glänzten fiebrig, kurzum, ein wahrer Satan.
    Selig hatte noch mehr gelitten. Ein Ohr war geschwollen und stand ab, die Nase glich einer Rübe (Bubenzow hatte es noch fertig gebracht, seine Zähne hineinzuschlagen), am schlimmsten aber war, dass er nicht mehr reden konnte, denn die eisernen Finger des Inspektors hatten ihm den Kehlkopf beschädigt. Selig machte zwar den Versuch, aber sein Geächze und Gekrächze war nicht zu verstehen, und der Vorsitzende Richter beschloss, den Ärmsten nicht weiter zu quälen, zumal der Fall ohnehin klar war.
    Der Richter fragte mehr der Ordnung halber, ob von den Anwesenden noch jemand über Kenntnisse verfüge, die geeignet seien, die Anklage oder die Verteidigung zu unterstützen.
    In diesem Moment übergab ihm der Gerichtsdiener einen Zettel. Der Richter las ihn, hob erstaunt die Brauen, zuckte die Achseln und verkündete:
    »Es hat sich noch ein Zeuge gemeldet. Genauer, eine Zeugin. Pelagia Lissizyna. Laut Gesetz bin ich verpflichtet, ihr das Wort zu erteilen. Möchten Sie die Anklage unterstützen?«
    Er blickte über den Brillenrand in den Saal, um zu sehen, ob sich jemand erhob.
    Unruhe im Publikum, denn die Zeugin erhob sich hinter dem Richtertisch aus einem der Sessel für die Ehrengäste.
    Die kleine Gestalt in Schwarz wurde murrend empfangen. Alle waren müde vom langen Sitzen und von den Gemütsbewegungen, und was konnte jetzt noch Neues kommen? Mehr als lebenslängliche Zwangsarbeit würde der Angeklagte ohnehin nicht erhalten, aber auch keinesfalls weniger. Selbst der Bischof schüttelte missbilligend den Kopf, wohl in der Annahme, seine geistliche Tochter sei der Versuchung eitler Ruhmsucht erlegen.
    Pelagias Rede war nicht lang, aber von entscheidender Bedeutung für den Prozess, darum wollen wir sie vollständig und wortwörtlich anführen und lassen vorübergehend das leidenschaftslose Protokoll sprechen. Gerichtsstenograf war der Sohn unseres Priors, Leonid Krestowosdwishenski, ein sehr befähigter Jüngling, dem viele eine glänzende literarische Laufbahn Voraussagen, doch das Protokoll verfertigte er äußerst penibel, ohne Ausschmückung, ließ sich höchstens hin und wieder zu einer Anmerkung hinreißen, so dass dieses offizielle Dokument ein wenig an ein Theaterstück erinnert. Hinzugefügt sei nur, dass Pelagia sehr leise sprach, so dass in den hinteren Reihen viele nicht alles verstanden.
    Also, nachdem die Zeugin den Eid gesprochen hatte, machte sie ihre Aussage.
    »Lissizyna: Herr Richter, Herren Geschworene, Bubenzow hat die Morde, die ihm zur Last gelegt werden, nicht begangen.
    Im Saal Lärm und Geschrei. Bei den Geschworenen Aufregung.
    Vorsitzender: Eine interessante Erklärung. Wer war es dann?
    Lissizyna: Bubenzow ist natürlich ein Unmensch, Bischöfliche Gnaden hat das alles sehr richtig beschrieben, aber er ist kein Mörder. Die
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