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Akte Weiß: Das Geheimlabor, Tödliche Spritzen

Titel: Akte Weiß: Das Geheimlabor, Tödliche Spritzen
Autoren: Tess Gerritsen
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mache ich mir keine Gedanken. Kein Gericht der Welt würde uns den Jungen nehmen, um ihn einem Irren wie Decker zu übergeben. Nein, ich mache mir Sorgen um Susan.”
    „Das verstehe ich nicht.” Die Straße war glitschig vom Regen, sodass Guy das Lenkrad mit beiden Händen festhalten musste. Kate überlegte, dass es für sie möglicherweise tödlich ausging, wenn sie ihm noch einmal in den Arm zu fallen versuchte. Sie musste auf eine bessere Gelegenheit warten. Deshalb fragte sie so ruhig wie möglich: „Warum bist du wegen Susan besorgt?”
    „Sie weiß von nichts. Sie denkt, William sei ihr Sohn.”
    „Das kann doch nicht sein!”
    „Ich habe es all die Jahre vor ihr verheimlichen können. Sie war in Narkose, als unser Baby geboren wurde. Es war ein Notfall, ein Kaiserschnitt. Es war unser drittes Kind, unsere letzte Chance, und das Mädchen kam wieder tot zur Welt …” Er machte eine Pause und räusperte sich. Als er wieder sprach, klang seine Stimme leicht brüchig vor innerer Bewegung. „Ich wusste nicht, was ich tun oder Susan sagen sollte. Sie lag da, friedlich schlafend, während ich unser totes Kind in den Armen hielt.”
    „Und da hast du Jenny Brooks Baby als eures ausgegeben?”
    Er wischte sich rasch mit dem Handrücken über die Stirn. „Es war ein Akt der Vorsehung, begreifst du das nicht? Mir jedenfalls kam es so vor. Die junge Frau war gerade gestorben, und der Junge, ein absolut gesundes Kind, schrie nebenan. Er hatte niemanden, der ihn halten und lieben würde. Über den Vater des Kindes war nichts bekannt, und es schien keine Verwandten zu geben. Susan begann schon aufzuwachen. Verstehst du nicht? Es hätte sie umgebracht, die Wahrheit zu erfahren. Dieser Junge war ein Gottesgeschenk. Es war Schicksal, dass alles so kam. Wir fühlten alle so, Ann, Ellen, nur Dr. Tanaka …”
    „Er war nicht einverstanden?”
    „Nein, zuerst nicht. Ich sprach mit ihm, flehte ihn praktisch an. Doch erst als Susan aufwachte und nach dem Baby fragte, stimmte er schließlich zu. Ellen legte ihr den Jungen in die Arme. Und Susan … sie sah ihn an … und begann zu weinen.” Guy wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. „Da wussten wir, dass wir das Richtige getan hatten.”
    Auch Kate hatte das Gefühl, es sei eine salomonisch kluge Entscheidung gewesen. Dennoch hatte sie zu vier Morden geführt. Und bald würde ein fünfter folgen.
    Der Wagen fuhr langsamer, und Kate schöpfte wieder Hoffnung. Der Verkehr wurde dichter. Vor ihnen lag hinter einem Regenschleier der Pali Tunnel. Sie wusste, dass irgendwo an der Einfahrt ein Notruftelefon war. Wenn Guy noch weiter mit dem Tempo herunterging, würde sie die Tür aufdrücken und sich herausfallen lassen.
    Doch sie erhielt diese Chance nicht. Guy fuhr in einen dichtbewaldeten Seitenweg, vorbei an einem Hinweisschild zum Pali Aussichtspunkt. Das war’s dann, dachte Kate. Das Kliff hoch über dem Tal war der Punkt, an dem lebensmüde Liebespaare ihren Pakt besiegelten, von dem Krieger im Altertum in den Tod gestürzt wurden. Der ideale Ort für einen Mord.
    In einem letzten verzweifelten Versuch warf Kate sich gegen die Tür, doch Guy hielt sie fest. Dann trommelte sie mit beiden Fäusten auf ihn ein. Er verlor für einen Moment die Gewalt über das Steuer, doch mit seiner überlegenen Kraft entschied er den Kampf und lenkte das schlingernde Fahrzeug auf die Straße zurück. Kate sah entsetzt, wie sie die letzten Meter zum Aussichtspunkt zurücklegten.
    Guy hielt den Wagen an und stellte den Motor ab. Dann saß er lange schweigend da, als sammele er Mut für seine Tat. Der Regen war zu einem kräftigen Nebel geworden. Hinter dem Kliffrand wallte Nebel empor und verwehrte den Blick auf den tödlichen Abgrund.
    „Was du eben gemacht hast, war komplett verrückt”, sagte Guy ruhig. „Warum hast du das getan?”
    Sie senkte langsam, müde und resigniert den Kopf. „Weil du mich wie die anderen umbringen wirst.”
    „Ich werde was?”
    Kate sah ihn an und suchte in seinem Blick nach Anzeichen für Reue. Sie hoffte, an einen letzten Rest von Menschlichkeit in ihm appellieren zu können. „War es leicht, Ann die Kehle durchzuschneiden und sie verbluten zu sehen? War das viele Blut für dich nichts Erschreckendes?”
    „Du meinst … du glaubst wirklich … Allmächtiger!” Er schlug beide Hände vor das Gesicht. Plötzlich begann er zu lachen, leise zuerst, dann immer heftiger, bis sich sein ganzer Körper schüttelte vor Lachen oder Schluchzen. Er
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