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Agent 6

Titel: Agent 6
Autoren: Tom Rob Smith
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bestehe darauf. Hören Sie? Ich bestehe darauf.
    Er lachte, um dem Befehl seine Schärfe zu nehmen, trotzdem blieb es ein Befehl. Sie hatten die Anweisung, alles zu tun, was ihr Gast verlangte. So, wie die anderen Leo ansahen, war klar, dass man ihm die Schuld dafür geben würde.
    Als Anführer ihrer Expedition auf der Suche nach etwas Gewöhnlichem führte Leo die Gruppe aus dem Geschäft heraus. Austins Laune besserte sich schon, als er neben Leo durch den dicken Schnee stapfte. Leo blickte sich um und sah, wie sich die Funktionäre gestenreich vor den großen Eingangstüren berieten, während ein neuer Schwung gezielt schlichter, schäbiger Kunden mit billigen Mänteln eintraf und feststellen musste, dass die Show vorüber war. Die Parteifunktionäre begriffen nicht, was Austin sehen wollte, aber sie wussten, dass es keine langen Schlangen und Geschäfte mit mageren Vorräten sein konnten. Doch weil sie den strikten Befehl hatten, jeder Laune Austins nachzugeben, konnten sie kaum eingreifen.
    Austin legte Leo freundschaftlich eine Hand auf den Rücken.
    – Erzählen Sie mir ein wenig über sich.
    Obwohl Leo nicht über sich reden wollte, fragte er:
    – Was wollen Sie wissen?
    Wie aus dem Nichts gesellte sich einer der Funktionäre zu ihnen, offenbar hatte er ihr Gespräch mit angehört.
    – Leo Demidow ist einer unserer tapfersten Offiziere. Er hat im Krieg heldenhaft gekämpft und zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Bitte, Mr. Austin, wohin würden Sie gern gebracht werden? Möchten Sie vielleicht einen Tee trinken, während wir die Vorbereitungen treffen?
    Verärgert über die Unterbrechung ignorierte Austin den Vorschlag, der nur ein plumper Versuch war, Zeit zu schinden, und wandte sich an Leo.
    – Und was machen Sie jetzt, Genosse Demidow?
    Leo glaubte an seine Arbeit als Agent. Dem Kommunismus drohte von vielen Seiten Gefahr. Aber das Thema war viel zu komplex, um es jetzt anzuschneiden. Er sagte nur:
    – Ich bin Polizist.
    Leo hoffte, damit hätten die Fragen ein Ende. Aber Austin hakte nach.
    – Gibt es in dieser Stadt viele Verbrechen?
    – Nicht solche Verbrechen wie in Amerika. Hier gibt es keine Morde oder Diebstähle. Ich kümmere mich um politische Kriminelle, um Verschwörungen gegen den Staat.
    Einen Moment lang schwieg Austin.
    – Gerechtigkeit hat viele Feinde, nicht wahr?
    – Ja, das stimmt.
    – Ihre Arbeit ist bestimmt schwierig.
    – Manchmal.
    – Sie ist es wert, mein Freund. Sie ist es wert.
    Sie gingen nicht weiter auf dieses finstere Thema ein, und Leo war für Austins Zurückhaltung dankbar. Nach diesem Gespräch schien ein längeres Schweigen angebracht. Schließlich brach Jesse Austin die Stille mit einem unverfänglicheren Thema.
    – Keine ernsten Fragen mehr. Was machen Sie sonst so? Ein gutaussehender Mann wie Sie ist doch sicher verheiratet, oder?
    Leo errötete; es war ihm peinlich, dass Austin ihn als gut aussehend bezeichnet hatte und dass er ledig war.
    – Nein.
    – Warum denn nicht?
    – Keine Ahnung …
    – Aber es gibt jemanden, den Sie lieben, oder? Da muss es doch jemanden geben. Jeder hat eine Liebesgeschichte, nicht wahr?
    Die Frage unterstellte, es sei einfach undenkbar, dass ein Mensch ohne Liebe lebte. Leo wollte das Gespräch nur noch auf ein anderes Thema bringen. Eine Lüge erschien ihm als einfachste Lösung.
    – Es gibt da jemanden. Wir kennen uns noch nicht lange.
    – Was macht sie?
    Leo zögerte, dann erinnerte er sich an Lenas Schulbücher.
    – Sie ist Lehrerin.
    – Bringen Sie sie doch heute Abend zu dem Konzert mit!
    Leo nickte knapp.
    – Ich frage sie. Sie hat oft viel zu tun, aber ich frage sie.
    – Bitte, bringen Sie sie mit.
    – Ich werde es versuchen.
    Nachdem sie zehn Minuten lang durch Nebenstraßen gelaufen waren, hielt ein Funktionär Leo am Arm fest. Er lächelte breit, um seine Aufregung zu überspielen.
    – Haben wir irgendein bestimmtes Ziel?
    Bevor Leo antworten konnte, entdeckte Austin die Schlange. Er hob die Hand und zeigte auf eine Reihe von Leuten, die vor einem kleinen Lebensmittelgeschäft anstanden. Grigori lief vor und sah sich den Laden an. Davor warteten mindestens dreißig Männer und Frauen. Die meisten waren älter, auf ihren zerschlissenen Mänteln lag pudriger Schnee. Grigori sah Leo erschrocken an. Die alten Leute drehten sich um und musterten ihre ungewöhnlichen Besucher, einen Agenten des MGB und eine gutgekleidete, amerikanische Berühmtheit – in der Sowjetunion war Austin
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