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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition)
Autoren: Juli Zeh
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eines ihrer Augen erwischt. Sie zieht sich das Gesicht lang, bis es aussieht wie auf dem Bild von Munch, der Schrei kommt auch hinzu, ihre Stimme ist schrill wie das Kreischen von Metall auf Metall, mir reicht es jetzt auch, ich habe wenig geschlafen in letzter Zeit. Lange habe ich sie nicht geohrfeigt, das war ein Fehler, es macht Spaß, es ist besser als Sex, viel besser. Als ihre linke Gesichtshälfte feuerrot ist und sie keinen Ton mehr von sich gibt, zerre ich sie zum Schuppen. Der Hund flieht ins Freie, als ich sie hineinstoße. Sie landet zwischen den Bücherkisten. Ich knalle die Tür von außen zu, drehe den Schlüssel um und habe die Fensterläden bereits geschlossen, als sie anfängt, mit irgendwas von innen die Scheiben zu zertrümmern.
    Max, brüllt sie, Max, du bereust es, wenn du jetzt abhaust. MAX!!
    Seine Hand sieht aus wie eine dieser Greifvorrichtungen, die es auf Jahrmärkten gibt und mit denen man nach Einwurf einer Mark auf Knopfdruck Stofftiere, Uhren und Mützen aus einem Glaskasten angeln kann. Er hält die Zigarette zwischen Daumen und kleinem Finger, und ich frage mich, warum er ausgerechnet die Linke zum Rauchen verwenden muss. Der Effekt ist pervers.
    Was ist mit deiner Hand passiert, frage ich.
    Zerschossen, sagt er, komische Sache das.
    Wo und wie, frage ich höflich.
    In Albanien, sagt er, Betriebsunfall. Vor zwei Jahren während der Unruhen bin ich in eine Demonstration geraten. Ein paar der Jungs hatten alte russische Maschinengewehre aus irgendeinem wiederentdeckten Bunker gezogen und schossen damit in die Luft. Einige der Kugeln kamen wieder runter zu uns.
    Niemand hat auf dich gezielt?
    Nee, lacht er, wie vom Meteor getroffen.
    Ich gucke noch mal hin und will fragen, ob er gerade einen Hitlergruß ausführte, als das Geschoss vom Himmel fiel, aber dann spare ich mir den Scherz. Er ist ganz in Schwarz gekleidet, die Klamotten sehen an ihm aus wie geliehen. Als ich gerade danach fragen will, verstehe ich von selbst. Es ist wegen Jessie. Vielleicht weiß er nicht, dass Sonnengelb die einzig passende Farbe wäre. An Ross wirkt diese Verkleidung grotesk. Eher sieht er selbst aus wie der Tod als wie ein Trauernder.
    Die Kellnerin kommt, Ross bestellt zwei Bier für uns und illustriert die Anzahl mit den einzigen beiden Fingern an seiner linken Hand. Das Mädchen entfernt sich rückwärts gehend von unserem Tisch und dreht sich erst an der Bar zur Seite weg.
    Na dann, sagt Ross, tauschen wir uns ein bisschen aus.
    Können wir nicht gleich zum Wesentlichen kommen?
    Mit Vergnügen. Sag mir, was das Wesentliche ist.
    Ich weiß nicht, warum DU hier bist, sage ich, aber ICH bin jedenfalls gekommen, um mich von dir erschießen zu lassen.
    Er zeigt mir mit dem kleinen Finger seiner Kralle einen Vogel.
    Du schaffst es noch, dass ich Tränen lache, sagt er. Was hätte ich davon, dich abzuknallen?
    Ich haue die Faust auf den Tisch.
    WAS, brülle ich, soll ich denn noch tun? Noch ein paar FENSTER zerschießen? Die BULLEN holen? Für dich TANZEN?
    Die Kellnerin hat meinen Ausbruch missverstanden und eilt mit zwei Flaschen herbei, die sie zwischen uns stellt.
    Gläser, sagt sie intonationslos.
    Geht schon ohne, zische ich, verpiss dich.
    Aus der Flasche trinken ist manchmal wie küssen, langer dünner Hals und nasser Mund. Als Ross sein Bier hebt, zeichnet sich die Form eines Schulterhalfters unter dem schwarzen Hemd ab, er gibt sich keine Mühe, es zu verbergen. Wahrscheinlich hat er sogar einen Waffenschein. Ich frage mich, ob er sich das Halfter auf die nackte Haut geschnürt hat, und ob er sich im Ernstfall die Zeit nehmen will, sein Hemd aufzuknöpfen, um an die Waffe heranzukommen, und wozu er sie überhaupt dabeihat, wenn er noch nicht mal auf mich schießen will. Er ist ein komischer Typ, wie falsch zusammengesetzt aus Puzzleteilen, die jemand ungeduldig ineinander verhakt und gepresst hat, bis das letzte Stück verbraucht war, ohne darauf zu achten, wohin sie eigentlich gehören.
    Es ist so, sagt er, dass du aller Wahrscheinlichkeit nach etwas hast, das wir sehr dringend brauchen.
    Und was ist das, frage ich. Das Geld?
    Er stutzt, dann lacht er.
    Ach so DAS, sagt er, Unsinn. Es gibt drei Möglichkeiten: Entweder du weißt, wovon ich rede, und machst schon die ganze Zeit auf Schauspieler. Oder du hast es, weißt aber selbst nichts davon. In diesem Fall, dachten wir uns, wäre es wichtig, dass du auch nicht erfährst, worum es geht. Denn sonst kriegen wir es nicht, oder es wird jedenfalls
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