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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Autoren: P. D. James
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Moment lang schweigend und sagte dann: »Ja, schreiben Sie’s tabellarisch. Und drucken Sie auch gleich zwei Kopien aus. Sie können den PC in Miss Blacketts Büro benutzen.«
    Und in dem Augenblick wußte Mandy, sie hatte den Job.

2
    Eine Viertelstunde vorher verließ Gerard Etienne, Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer von Peverell Press, den Sitzungssaal und wollte hinunter in sein Büro im Erdgeschoß. Plötzlich blieb er stehen, wich leichtfüßig wie eine Katze in den Schatten zurück und spähte hinter der Balustrade hervor. Unter ihm in der Halle drehte ein Mädchen Pirouetten und blickte dabei wie verzückt zur Decke hinauf. Sie trug nach oben ausgestellte Stiefel, die ihr bis weit über die Knie reichten, einen engen, beigefarbenen Minirock und eine mattrote Samtjacke. Ein schlanker, feingliedriger Arm war ausgestreckt und hielt den extravaganten Hut an der Krempe fest. Dieses anscheinend aus rotem Filz gefertigte Gebilde war mit dem wunderlichsten Putz garniert: Neben Blumen, Federn, Satin- und Spitzenbändern entdeckte Etienne sogar kleine Glasplättchen. Bei jeder Drehung des Mädchens blitzte, funkelte und glitzerte der Hut. Es müßte eigentlich lächerlich wirken, dachte er, dieses spitze Kindergesicht, halb verdeckt von zerzausten dunklen Haarsträhnen, und obendrauf so eine aberwitzige Kreation. Statt dessen sah das Mädchen bezaubernd aus. Unwillkürlich lächelte er, ja lachte beinahe, und plötzlich überkam ihn eine so verrückte Anwandlung, wie er sie seit seinem zwanzigsten Lebensjahr nicht mehr gespürt hatte: Am liebsten wäre er die breite Treppe hinuntergerannt, hätte sie in die Arme genommen und wäre mit ihr über die Marmorterrasse hinausgetanzt bis ans Ufer des schimmernden Flusses. Aber da hatte sie ihr gemessenes Menuett auch schon beendet und folgte Miss Blackett durch die Halle zur Treppe. Er blieb noch einen Moment stehen und genoß diesen närrischen Taumel, der, wie er meinte, durchaus keine sexuelle Konnotationen hatte, sondern nur dem Wunsch entsprang, sich ein Andenken an die Jugend zu bewahren, eine Erinnerung an erste Liebe, Lachen, Ungebundenheit, an schiere animalische Sinnenfreude. Nichts davon hatte heute mehr Platz in seinem Leben. Er lächelte immer noch, als er, sobald die Halle leer war, langsam in sein Büro hinunterschlenderte.
    Zehn Minuten später ging die Tür auf, und er erkannte am Schritt, daß seine Schwester hereingekommen war. Ohne aufzublicken fragte er: »Wer ist denn die Kleine mit dem verrückten Hut?«
    »Was für ein Hut?« Im ersten Moment schien Claudia gar nicht zu begreifen, doch dann sagte sie: »Ach, der Hut. Das ist Mandy Price, die neue Aushilfe.«
    Ihre Stimme klang so merkwürdig gepreßt, daß er sich zu ihr umdrehte und sie ansah. »Claudia«, sagte er, »was ist passiert?«
    »Sonia Clements ist tot. Sie hat sich umgebracht.«
    »Wo?«
    »Hier. Im kleinen Archiv. Dieses Mädchen und ich, wir haben sie gefunden, als wir Gabriels Diktiergerät holen wollten.«
    »Die Kleine hat sie gefunden?« Nach kurzem Zögern setzte er hinzu: »Und wo ist sie jetzt?«
    »Ich sag’ dir doch, im kleinen Archiv. Wir haben die Leiche nicht angerührt. Wozu auch?«
    »Ich wollte wissen, wo die Kleine ist!«
    »Ach, die sitzt nebenan bei Blackie und schreibt das Band ab. Du brauchst sie übrigens nicht zu bedauern. Sie war ja nicht allein, außerdem ist die Sache zum Glück ganz unblutig abgegangen. Und dann ist diese Generation hart im Nehmen – die Kleine hat nicht mal mit der Wimper gezuckt. Ihr ging es bloß darum, daß sie den Job kriegt.«
    »Und du bist sicher, daß es Selbstmord war?«
    »Natürlich. Sie hat diesen Brief hinterlassen. Hier, er ist offen, aber ich habe ihn nicht gelesen.«
    Sie reichte ihm den Umschlag, trat dann ans Fenster und sah hinaus. Nach kurzem Zögern schnippte er die Klappe aus dem Kuvert, zog vorsichtig das Blatt heraus und las laut vor: ›»Ich bitte um Verzeihung für die Unannehmlichkeiten, aber dieser Raum schien mir am besten geeignet. Wahrscheinlich wird es Gabriel sein, der mich hier findet, und er steht mit dem Tod auf so vertrautem Fuß, daß es kein allzu großer Schock für ihn sein wird. Jetzt, wo ich allein lebe, hätte man mich daheim womöglich erst entdeckt, wenn ich zu stinken anfange, und ich denke, ein gewisses Maß an Würde sollte der Mensch sich selbst im Tode noch bewahren. Meine Angelegenheiten sind geregelt, und auch an meine Schwester habe ich geschrieben. Ich bin nicht verpflichtet,
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