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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Autoren: P. D. James
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Mädchen von der Agentur, Miss Claudia«, meldete sie und ging.
    Nach dem schlecht proportionierten Vorzimmer kam Mandy das eigentliche Büro sehr groß vor, als sie jetzt über eine ausgedehnte Parkettfläche auf den Schreibtisch zuging, der rechts vom Fenster am anderen Ende des Raums stand. Eine hochgewachsene, dunkelhaarige Frau erhob sich, begrüßte sie mit Handschlag und bedeutete ihr, auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen.
    »Sie haben Ihren Lebenslauf dabei?« fragte sie.
    »Ja, Miss Etienne.«
    Mandy war noch nie nach einem Lebenslauf gefragt worden, aber Mrs. Crealey hatte recht gehabt; hier gehörte so etwas offenbar dazu. Sie langte in ihre quastengeschmückte, knallbunt bestickte Umhängetasche, ein Souvenir vom letztjährigen Kreta-Urlaub, und reichte drei sauber getippte Seiten über den Tisch. Miss Etienne studierte den Text, und Mandy studierte Miss Etienne.
    Jung war sie ihrer Schätzung nach nicht mehr, bestimmt schon über dreißig. Sie hatte ein scharf geschnittenes Gesicht mit blassem, empfindlichem Teint, flach in den Höhlen liegende Augen mit dunkler, fast schwarzer Iris unter schweren Lidern. Die Brauen waren zu hohen, schmalen Bögen gezupft. Das kurze, glänzend gebürstete Haar trug sie links gescheitelt, ein paar widerspenstige Strähnen hatte sie hinters rechte Ohr zurückgestrichen. An den Händen, die auf Mandys Lebenslauf ruhten, trug sie keinen einzigen Ring, die Finger waren lang und schlank, die Nägel unlackiert.
    Ohne aufzublicken, fragte Miss Etienne: »Heißen Sie Mandy oder Amanda Price?«
    »Mandy, Miss Etienne.« In jedem anderen Fall hätte Mandy darauf hingewiesen, daß, wäre ihr Vorname Amanda, es auch so in ihrem Lebenslauf stünde.
    »Haben Sie schon einmal in einem Verlag gearbeitet?«
    »Ungefähr dreimal in den letzten beiden Jahren. Auf Seite drei meines Lebenslaufs finden Sie eine Liste der Finnen, für die ich bisher tätig war.«
    Miss Etienne las weiter, dann blickte sie auf, und die klugen, leuchtenden Augen unter den geschwungenen Brauen musterten Mandy mit größerem Interesse, als sie bisher gezeigt hatte.
    »Sie waren sehr gut in der Schule«, sagte sie, »aber dann haben Sie ungewöhnlich oft den Arbeitsplatz gewechselt. Sie sind nirgends länger als ein paar Wochen geblieben.«
    Drei Jahre Praxis als Aushilfskraft hatten Mandy gelehrt, die meisten Tricks der Männerwelt zu durchschauen und abzuwehren, doch im Umgang mit dem eigenen Geschlecht hatte sie weniger Übung. Aber sie besaß einen hellwachen Instinkt, und der riet ihr, diese Miss Etienne mit Samthandschuhen anzufassen. Während sie also heimlich dachte: Darum heißt es ja Aushilfe, du blöde Kuh, weil man heute hier ist und morgen da, sagte sie laut: »Gerade das gefällt mir an der Zeitarbeit. Ich möchte nämlich möglichst breitgefächerte Erfahrungen sammeln, bevor ich mich irgendwo fest anstellen lasse. Aber wenn es einmal soweit ist, dann will ich auch bei der Stange bleiben und mich bewähren.«
    Das war glatt gelogen. Mandy dachte gar nicht daran, sich eine feste Stellung zu suchen. Sie fühlte sich ausgesprochen wohl mit ihren Teilzeitjobs, die ihr, ohne Verträge und Dienstvorschriften, Vielfalt und Freiheit garantierten und obendrein die Gewißheit, daß auch die gräßlichste Arbeit schlimmstenfalls nur bis zum nächsten Freitag dauern mußte. Wenn sie Pläne hatte, dann auf einem ganz anderen Sektor. Mandy sparte für den Tag, an dem sie sich, zusammen mit ihrer Freundin Naomi, einen kleinen Laden in der Portobello Road würde leisten können, wo sie dann ganz rasch reich werden würden: Naomi mit ihrem selbstgebastelten Schmuck und Mandy mit ihren Hutkreationen.
    Miss Etienne wandte sich wieder dem Lebenslauf zu. »Wenn Sie eine feste Anstellung anstreben, in der Sie sich auch noch bewähren wollen, dann sind Sie in Ihrer Generation bestimmt eine Ausnahme«, sagte sie trocken. Und als hätte sie es plötzlich eilig, reichte sie Mandy den Lebenslauf zurück, erhob sich und sagte: »Also schön, machen wir einen PC-Test. Mal sehen, ob Sie wirklich so gut sind, wie Sie behaupten. In Miss Blacketts Büro im Erdgeschoß steht ein zweiter PC. Dort wäre ohnehin Ihr Arbeitsplatz, also können Sie da auch gleich den Test machen. Mr. Dauntsey, der in unserem Haus das Lyrikprogramm betreut, hat ein Band besprochen, das abgetippt werden muß. Es liegt im kleinen Archiv.« Und während sie hinter dem Schreibtisch hervortrat, setzte sie hinzu: »Kommen Sie, wir holen es
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